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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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zu bringen und dieses Haus zu verlassen. Abwesend suchte sie in Strykers Jacke nach Geld, fand seinen Geldbeutel und nahm einige Münzen heraus. Sie würde einen Hansom mieten müssen – das war die einzige Möglichkeit, einigermaßen sicher wieder zu der Villa des Professors zurückzugelangen.
    Der Kater folgte ihr bis hinunter auf die Straße und lief dort eine Weile hinter ihr her. Erst als sie eine freie Kutsche gefunden hatte, verschwand er hinter einer Hausecke.

Kapitel 13
    »Das Kinn locker, lass es hängen, als sei es gar nicht da … So ist es gut … Die Kehle weit, ganz weit, so weit wie eine blühende Landschaft im Frühling … Spürst du, wie dein Schädel sanft vibriert, wenn du singst? Leg die Hand in deinen Nacken … Fühlst du es? … Weiter so …«
    Besonders der Einzelunterricht war anstrengend, weil Sereno sie oft mehr als zwei Stunden lang triezte. Marian machte brav alle Übungen, die der Professor ihr auftrug, doch sie empfand die meisten als ziemlich nutzlos. Na schön, der Ton wurde mithilfe der Stimmbänder im Kehlkopf erzeugt und kam in bestimmten Resonanzräumen zum Klingen. Vor allem im Kopf, aber auch in der Brust, eigentlich im ganzen Körper. Und dann war da die Sache mit dem Zwerchfell, eine Art aufgespanntes Tuch unterhalb des Magens. Dort fußte die Luftsäule, die den Ton stützte. Diese sollte man sich wie eine Wasserfontäne vorstellen, auf der oben ein kleiner Gummiball tanzte. Alles musste ganz locker und natürlich vor sich gehen. Aber wozu musste Marian das eigentlich wissen? Es geschah doch von selbst, ihr Körper tat es freiwillig, ohne dass sie darüber hätte nachdenken müssen.
    »Der unverwechselbare Klang einer Stimme wird von den Resonanzräumen im Kopf bestimmt«, erläuterte Sereno, der am Flügel saß und seine Schülerin nicht aus den Augen ließ. »Schließ den Mund, und summe den Ton – leg den Finger an die Stirn! Spürst du es?«
    »Ja, Mr. Sereno. Es vibriert so heftig, dass ich fast Kopfschmerzen davon bekomme.«
    Er schien jetzt zufrieden und stand auf, um einen Stapel Noten herbeizutragen. Marian war erleichtert – es war viel schöner, Lieder und Arien einzustudieren, als ständig diese albernen Übungen zu machen. Das ganze Haus ähnelte zurzeit einem schwirrenden, summenden Bienenstock, aus allen Übungsräumen drangen Liedpassagen, Koloraturen, manchmal auch Rezitative aus Oratorien. Alle Schüler des Professors bereiteten sich auf ihre Weihnachtsauftritte vor.
    »Werde ich die Händel-Arie irgendwo vorsingen?«, fragte Marian hoffnungsvoll. »Vielleicht sogar in St. Jacob, das würde Reverend Jasper gewiss sehr freuen.«
    Sereno hatte eine Notenmappe aufgeschlagen und blätterte darin. Auf ihre Frage hin blickte er sie rasch und prüfend an, dann richtete er seine Augen wieder auf die Noten. Er sah blass und übernächtigt aus, fand Marian. Juliette hatte ihr erzählt, Sereno sammelte alte Noten und besäße ein umfangreiches Archiv, das er beständig durch weitere Ankäufe vergrößerte. Angeblich verbrachte er lange Nachtstunden damit, die verblassten Papiere zu sichten und zu sortieren, manche schrieb er sogar ab, um sie vor dem Vergessen zu bewahren.
    »Für einen öffentlichen Auftritt ist es noch zu früh …«
    Marian verbarg ihre Enttäuschung keineswegs.
    »Aber wieso denn? All Ihre Schüler dürfen auftreten! Sie selbst haben gesagt, dass …«
    »Schau dir einmal diese Melodie an, Marian!«, unterbrach er energisch und legte ein Notenblatt vor sie auf den Flügel.
    Sie kannte das schon. Immer wenn sie ihn bedrängte, doch bald einmal öffentlich singen zu dürfen, lenkte er von ihrem Anliegen ab. Einmal fiel ihm eine Übung ein, die sie unbedingt noch rasch machen musste, dann wieder erzählte er von einem seiner Kollegen, einem berühmten Künstler, mit dem er auf der Bühne gestanden hatte. Meist aber war es eine neue Arie, ein Lied oder nur eine Melodie. Fast immer handgeschrieben und schlecht zu lesen.
    »Darunter stehen ja gar keine Worte«, beklagte sie unzufrieden. »Wie soll man das denn singen? Auf ›Lalala‹?«
    Sereno goss sich ein Glas Wasser aus einer Karaffe ein, die stets auf einem runden Tischlein neben dem Flügel stand. Das Gefäß war schön, aus geschliffenem Glas, in dem sich die Lichtstrahlen funkelnd in allen Farben brachen. Marian liebte diese Karaffe sehr, und ganz offensichtlich gefiel sie auch Sereno, denn er blickte recht oft zu ihr hinüber, wenn er Marians Gesang begleitete.
    »Sing einfach so, wie es

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