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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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gut zu singen! Oh, auch Marian erlernte langsam die Kunst, harmlos klingende Sätze wie spitze Pfeile zu gebrauchen!
    In ihrem Zimmer ließ sie sich auf den Stuhl sinken und schwankte zwischen der Versuchung, in Tränen auszubrechen, und dem heißen Wunsch, Serenos alberne Bücher gegen die Wand zu schmettern. Sie entschied sich für Letzteres, fegte dabei zwei gerahmte Fotografien von ihren Nägeln und erzeugte einige dunkle Kerben in der sowieso schon ziemlich vergilbten Blümchentapete. Es tat richtig gut. Also, diese beiden Schnepfen durften öffentlich singen, ausgerechnet in St. Jacob und dazu noch gerade die Arien, die Marian besonders am Herzen lagen! Sie stand auf, um die Bücher wieder einzusammeln. Sie waren in widerstandsfähige Lederdeckel eingebunden und würden noch einen weiteren Flug aushalten.
    Kawumm!
    Die Lehrwerke des Belcanto knallten gegen die Tür, wobei sie einen dumpfen Laut erzeugten, und fielen mit Gepolter auf die Holzdielen. Zufrieden langte Marian nach dem letzten Geschoss, da vernahm sie ein schüchternes Klopfen. Oh weh – da kamen schon die ersten Beschwerden!
    »Ja, bitte?«
    Der leicht trotzige Unterton war ganz sicher nicht zu überhören.
    »Ich bin es nur … Jonathan Mills …«
    Es klang ziemlich bekümmert – der arme Bursche war gewiss nicht aus eigenem Antrieb gekommen. Vermutlich hatte Mrs. Waterfield ihn geschickt, oder – schlimmer noch – die boshaften Kolleginnen hatte ihn zu Marian beordert.
    »Kommen Sie herein, die Tür ist offen!«
    Er schob die Tür nur ein kleines Stück auf und streckte vorsichtig den Kopf durch den Spalt.
    »Ist … ist alles in Ordnung, Miss Marian?«, fragte er. »Es klang, als sei ein Poltergeist in Ihrem Zimmer am Werk.«
    »Tatsächlich?«, knurrte Marian. »Haben Ihnen das meine bezaubernden Mitschülerinnen eingeredet?«
    Er lächelte sie jetzt an, und sie glaubte, ein Quäntchen Ironie in diesem Lächeln zu erkennen. Machte er sich vielleicht gar insgeheim über sie lustig?
    »Aber nein, Miss Marian! Ich hörte den Lärm und machte mir große Sorgen um Sie.«
    Sie sah ihn scharf an, und er senkte errötend den Blick, das ironische Lächeln stellte er jedoch nicht ein. Widerwillig musste sie zugeben, dass es ihm gar nicht so übel stand, es machte ihn reifer und hintergründiger. Überhaupt war Jonathan nicht mehr der harmlose, naive Junge, sondern einer, der es faustdick hinter den Ohren hatte.
    »Wie Sie sehen, gibt es keinen Grund, sich zu beunruhigen«, meinte sie ungeduldig. »Es sind mir nur ein paar Bücher heruntergefallen.«
    Angesichts der leicht angeschlagenen Werke auf dem Fußboden war diese Erklärung einleuchtend, wenn auch nicht ganz zufriedenstellend. Eine kleine Pause entstand, während der Marian sich fragte, weshalb er immer noch an der Tür stand, statt sich zu verabschieden und sie endlich in Ruhe zu lassen.
    »Ja, richtig!«, rief Jonathan Mills aus und schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. »Ich sollte etwas abgeben, Miss Marian.«
    Amüsiert sah sie zu, wie er umständlich in den Taschen seiner viel zu weiten Jacke und anschließend in seinen Hosentaschen – Gott, wie peinlich, er trug einen Strick anstelle eines Gürtels! – nach dem Gegenstand forschte, den er ihr aushändigen sollte. Wo er nur immer diese schrecklichen ausgeleierten Kleider hernahm? Die Jacke wirkte, als hätte ein schwergewichtiger Mensch sie schon gute zehn Jahre in einer staubigen Schreinerwerkstatt getragen, und was über die Hose zu sagen gewesen wäre, durfte ein Mädchen nicht einmal denken.
    »Da ist er ja – Gott sei Dank!«, stöhnte Jonathan erleichtert und zog schließlich einen zusammengefalteten Brief aus dem rechten Schuh. »Von Ihrem Vormund, Miss Marian.«
    »Von Mr. Strykers?«, fragte sie stirnrunzelnd.
    »Derselbe«, nickte Jonathan eifrig. »Er ließ das Schreiben von einem Boten bringen. Ich fürchte, es steht nicht gut um die Gesundheit des alten Herrn – der Bote hat mir erzählt, er liege immer noch zu Bett. Die arme Mrs. Strykers musste eine Pflegerin engagieren, weil die weiblichen Dienstboten sich geweigert haben …«
    »Schon gut, Mr. Mills!«, unterbrach Marian und streckte die Hand nach dem Brief aus. »Sie haben bestimmt noch eine Menge zu tun.«
    »Oh Verzeihung, Miss Marian! Ich stehe hier und schwatze Ihnen die Ohren voll. Stehle Ihnen die Zeit. Mrs. Waterfield sagt immer, einen solchen Zeitstehler wie mich habe sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen …«
    Er trat einige Schritte näher

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