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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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schnaubte der Bote abfällig eine Wolke weißlichen Nebeldampf in die Abendluft und bemerkte, dass der Herr der Nachtschatten großen Wert auf einen genauen und ausführlichen Bericht legte.
    »Den wirst du ihm ohne Zweifel liefern.«
    Er war misstrauisch, der Kontrolleur, vermutlich hatte er die Ironie herausgehört. Jonathan ärgerte sich über sich selbst, er musste vorsichtiger sein. Nicht nur im Umgang mit Gorians Boten, auch Marian gegenüber. Vor allem Marian gegenüber.
    »Du weißt ja, was mit dir geschieht, wenn du ein zweites Mal versagst«, erinnerte der Bote ihn. »Es wird nicht lustig sein, darauf kannst du dich verlassen.«
    »Gewiss …«
    Ganz offensichtlich befolgte er mit dieser Drohung einen Befehl, denn bisher hatte jeder Bote sie am Ende des Verhörs ausgesprochen. Sie kamen jeden Abend, um ihn auszufragen, manchmal auch in der Nacht. Gorian wollte dieses Mal ganz sichergehen, dass sein Abgesandter keine eigenen Wege ging. Es waren weniger die Fragen, die recht banal anmuteten und sich um Marians tägliches Leben, ihren Umgang oder ungewöhnliche Ereignisse drehten. Es war die ständige Präsenz und Kontrolle, die Jonathan Mills deutlich machen sollten, dass die Augen und Ohren seines Herrn auf ihm ruhten.
    Und doch würde er sein eigenes Spiel spielen. Trotz dieser engmaschigen Überwachung musste es gelingen, Gorian hinzuhalten und zugleich dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, das der Herr der Nachtschatten ihm geflissentlich verschwieg. Das Geheimnis der Elbenkönigin – nur darum konnte es sich handeln.
    Jonathan verfolgte den Abflug des Boten mit scharfem Blick und passte gut auf, dass der Knabe nicht etwa als Nebelwolke im Gezweig eines Baumes oder im Dachgiebel hängen blieb und dort seine Beobachtungen fortsetzte. Übereifrig, wie dieser Kerl war, wäre ihm das durchaus zuzutrauen gewesen. Auf der anderen Seite wurde er oben in Schottland in Gorians Palast erwartet – da würde er sich wohl kaum die Nacht um die Ohren schlagen, um sich anschließend einen Rüffel einzuhandeln, weil er zu spät kam.
    Jonathan trug die Harke zurück in den von Efeu überwucherten Verschlag, in dem die Gartengeräte aufbewahrt wurden – Mrs. Waterfield konnte hysterisch wie eine geifernde Windbraut werden, wenn das Gesinde nicht alle Geräte wieder an Ort und Stelle räumte. Noch gestern Früh hatte er sich einen erbaulichen Vortrag über die Haltbarkeit eines blechernen Putzeimers und des dazugehörigen Feudels anhören müssen. Er hatte diese beiden Wertgegenstände neben dem Hintereingang vergessen, und der Feudel war über Nacht steif wie ein Brett gefroren.
    Fröstelnd lief er zwischen den kahlen Bäumen hindurch zur Villa zurück und überlegte kurz, ob er sich in der Küche ein wenig aufwärmen sollte, da dort ständig ein warmes Herdfeuer brannte. Doch er verspürte wenig Lust auf den Anblick der beiden pummeligen Hausmädchen, die dort jetzt ohne Zweifel noch zusammensaßen und Tee tranken. Und auch auf Mrs. Waterfields bärbeißige Mütterlichkeit konnte er gern verzichten. Er hatte längst gemerkt, dass man über ihn und die Wirtschafterin allerlei Klatsch verbreitete. Mrs. Waterfield, die sonst so Unbestechliche, hätte einen Narren an ihm gefressen, ließe ihm Dinge durchgehen, für die andere längst aus dem Haus gejagt worden wären. Was durchaus stimmen konnte, denn er hatte sich mithilfe seines männlichen Charmes über Wasser halten müssen. Verdammt, er war ein Krieger und kein Schreiner, auch kein Gärtner und schon gar kein Putzteufel! Es gab Arbeiten, die um der Sache willen getan werden mussten, aber es gab auch solche, die unter seiner Würde waren und vor denen er sich selbst in der albernen Gestalt des Jonathan Mills so weit wie möglich drückte!
    Er kauerte sich in einer Ecke der Halle zusammen, schlang seine Arme um die hochgezogenen Knie und genoss das Gefühl, mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Wenn nur die elende Dezemberkälte nicht gewesen wäre, die der unglückliche Jonathan Mills in allen Knochen spürte! Er bereute jetzt, ausgerechnet diese Verkleidung gewählt zu haben, schon allein deshalb, weil er Marian gern in einer eindrucksvolleren Gestalt gegenübergetreten wäre. Auf der anderen Seite war es als Jonathan Mills sehr viel einfacher, in ihre Nähe zu gelangen. Sie kannte ihn, und da er lächerlich und damit ungefährlich schien, schenkte sie ihm Vertrauen. Wie sollte sie auch ahnen, dass der Krieger Darion sie durch Jonathan Mills’ haselnussfarbene Augen

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