Gesang der Daemmerung
ihm beschützt zu werden. Er stand vor ihr, ein hochgewachsener Krieger im schimmernden Kettenhemd, das Schwert an der Seite …
»Ja, Darion. Kein anderer soll es jemals tun! Nur dir will ich mich anvertrauen …«
Sogar mitten in ihrem süßen Traum spürte sie, dass es jetzt hochgradig gefährlich wurde und sie besser aufwachen sollte. Doch dazu hätte sie sich energisch in den Arm zwicken müssen, und irgendwie konnte sie nicht die richtige Stelle finden, auf jeden Fall klappte es nicht. Stattdessen sah sie den hohen dunklen Schatten auf sich zukommen, spürte den Sog seiner kühlen Augen, der dunkelroten Lippen und gab allen Widerstand auf.
»Wenn ich dein Vertrauter bin, Marian«, hörte sie seine weiche Stimme, »dann will ich, dass du dich mir ganz und gar hingibst.«
Er neigte sich über sie, und ihr Herz schlug Trommelwirbel, als sie glaubte, seine Lippen auf ihrer Haut zu spüren. Sie berührten ihre Wangen, küssten zärtlich ihr Kinn, und statt ihren Mund zu suchen, krochen sie ihren Hals hinab. Oh Gott – was würde er nun tun? Würde er ihr das Nachthemd öffnen und wieder jene Stellen berühren, die er damals mit frechem Mund geküsst hatte? Die heißen Spitzen ihrer Brüste reckten sich ihm entgegen, doch er verschmähte sie, schob den Stoff des Nachthemds weiter hinunter, suchte sich den Weg zu ihrem Bauchnabel, und sie erzitterte, als seine Zunge sich spielerisch in die kleine Grube bohrte. Sie hielt sich dort nur eine Weile auf, dann glitten seine warmen feuchten Lippen tiefer, erreichten den Hügel ihrer Lüste und machten sich daran, eine Stelle zu liebkosen, für die es eigentlich keinen Namen gab. Jedenfalls kannte ein anständiges Mädchen kein Wort für diesen weichen hochempfindlichen Spalt und schon gar nicht für die süßen Geheimnisse, die darin verborgen waren.
»Nein …«, hörte sie sich flüstern. »Nein …«
Selten hatte ein »Nein« so sehnsuchtsvoll und begehrlich geklungen, und sogar im Traum begriff Marian, dass es eigentlich ein »Ja« bedeutete. War das seine Zunge, die sie jetzt dort spürte? Das konnte nicht sein, es war gar zu unanständig! Und doch zugleich wundervoll, streng verboten, ganz und gar lasterhaft, unendlich süß, im höchsten Grade sündig …
Ein hartes, dumpfes Geräusch riss sie aus dem Traum und brachte sie mit einem Schlag wieder in ihr eisig kaltes Zimmer zurück. Jemand klopfte an die Tür.
»Der Tee, Miss Lethaby!«
Es war eines der beiden Dienstmädchen, das den Auftrag hatte, allen Hausbewohnern am frühen Morgen eine Tasse Tee zu bringen. Sosehr Marian das arme Geschöpf bemitleidete, das bei dieser Kälte überall herumlaufen musste und sich mürrische Antworten einhandelte – in diesem Augenblick hätte sie das Mädchen gern erdolcht.
»Danke, Mary!«, erwiderte sie stattdessen, um einen freundlichen Ton bemüht.
Es gelang ihr nur teilweise, aber Mary hörte es sowieso nicht mehr. Sie hatte die Tasse auf die kleine Flurkommode gestellt und war mit ihrem Tablett schon zu Lillian und Elisabeth unterwegs, um sie ebenfalls mit einem wärmenden Morgentrunk zu versorgen. Marian blinzelte zum Fenster hinüber, wo jetzt ein matter Lichtschein zwischen den Gardinen hindurch ins Zimmer drang. Es war gewiss schon nach acht Uhr, im Pensionat saßen die Mädchen um diese Zeit längst in den Schulklassen.
Geschieht mir recht, dass ich jetzt in die Kälte hinausmuss!, dachte sie, während sie sich aus der Decke schälte. Sie schämte sich für den lasterhaften Traum, den sie wieder einmal zugelassen hatte, statt sich ihm mit aller Entschiedenheit zu verweigern. Es war doppelt schlimm, weil sie nicht nur fürchterlich schamlose Dinge geträumt und sogar für schön befunden hatte – sie hatte auch noch den ungetreuen Darion im Traum gesehen. Ihren Beschützer! Von wegen! Ein hohler Schwätzer, das war er.
Um sich selbst zu bestrafen, lief sie auf nackten Sohlen über die kalten Holzdielen und trat dabei aus Versehen auf eines der Bücher, die sie gestern gegen die Wand geworfen hatte. Sie jammerte, weil sie genau auf die Buchkante getreten war, dafür überdeckte der kleine Schmerz das Frösteln in der eisigen Morgenkälte. Mit der dampfenden Teetasse in der Hand stieg sie wieder in ihr Bett, zog bibbernd die Decke an sich und schlürfte das heiße aromatische Gebräu.
Langsam breitete sich wohlige Wärme in Marians Gliedern aus, sogar in den kalten Füßen spürte sie ein anregendes Prickeln. Es war schon großartig, was eine simple Tasse
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