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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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tun, Marian.«
    Ihre Enttäuschung war riesengroß, und er verfluchte dieses elende Fläschchen, das Gorian ihm aufgehalst hatte. Aber er durfte es ihr auf keinen Fall überlassen, es konnte sie beide in große Gefahr bringen.
    »Ich verstehe«, erwiderte sie und schloss ihre Finger für einen Augenblick um die kleine Phiole, bevor sie sie auf den dunklen Schleier am Boden warf. »Dieses Ding hier ist dir sehr ans Herz gewachsen. Es war ungeschickt von mir, dich darum zu bitten.«
    »Marian!«, rief Darion unglücklich aus und stand auf, um sie in die Arme zu nehmen. »Es tut mir unendlich weh, dir diese Bitte abschlagen zu müssen, das schwöre ich! Aber es geschieht um deinetwillen, weil ich um deine Sicherheit besorgt bin …«
    Gerade in diesem Moment vernahm man das Rasseln einer Kutsche – Sereno und die beiden Schülerinnen kehrten zur Villa zurück. Gleich darauf ertönte Mrs. Waterfields schrilles Organ.
    »Jonathan! Wo stecken Sie schon wieder? Die nassen Schirme und Gamaschen müssen in die Waschküche getragen werden!«
    Marian löschte die Lampe – es war besser, wenn die Heimkehrenden glaubten, sie schliefe bereits, sonst kamen Lillian und Elisabeth am Ende bei ihr vorbei, um von ihrem grandiosen Auftritt zu prahlen.
    »Ich komme zurück und werde dir dann alles erklären«, flüsterte Darion, während er sich in einer Ecke des Zimmers mit fliegender Hast in Jonathan Mills verwandelte. In der Kürze der Zeit bedeutete das eine Meisterleistung, die ihm so leicht kein anderer Nachtschatten nachmachte.
    »Das ist unnötig. Ich will das Ding nicht mehr haben. Reden wir nicht mehr davon!«
    Im Dunkeln konnte sie nicht sehen, dass er das Elbenbuch unter Jonathan Mills’ weite Jacke schob, obgleich der verflixte Foliant sich heftig dagegen sträubte. Darion wollte auf keinen Fall das Risiko eingehen, dass sie allein darin las.
    »Ich liebe dich, Marian. Ich liebe dich mehr, als du ahnst!«
    Sie gab ihm keine Antwort, und sein Herz wurde schwer. Was gewann er eigentlich mit den ständigen Ausreden und Schwindeleien? Gar nichts – stattdessen verlor er nur ihr Vertrauen und vielleicht sogar ihre Liebe. Schluss mit diesem unheilvollen Lügengebäude – in dieser Nacht würden sie gemeinsam das Elbenbuch lesen, und am Morgen würde sie die Wahrheit kennen! Auch wenn sie ihn dann hassen und verabscheuen sollte, so herrschte wenigstens Ehrlichkeit zwischen ihnen.
    Darion hatte kaum Marians Zimmertür hinter sich geschlossen, da flammte dicht vor ihm ein Licht auf. Unfassbar grell stach es ihm in die Augen, sodass er zurückprallte und mit dem Rücken gegen die Wand stieß. Noch halb geblendet rang Jonathan Mills verzweifelt mit einem übermächtigen Gegner, schlug mit der Faust, stieß mit den Füßen und konnte doch nicht verhindern, dass ihm das Buch entrungen wurde.

Kapitel 18
    »Ihr Tee, Miss Lethaby!«
    Marian fuhr aus dem Tiefschlaf und brauchte einen kleinen Moment, um zu sich zu kommen. Wie dunkel es noch im Zimmer war, aber das lag daran, dass draußen dichter Regen herabrauschte.
    »Danke. Stellen Sie die Tasse auf die Kommode!«, murmelte sie verschlafen und war sich fast sicher, dass das Dienstmädchen längst weitergelaufen war und sie nicht mehr hörte.
    Sie blieb einen kleinen Moment lang still in den Kissen liegen, um auf den Regen zu lauschen, und auch, um die winzig kleine Hoffnung in ihrem Herzen zu bewahren, Darion könnte bei ihr im Zimmer sein. Zwar nicht neben ihr im Bett, das hätte sie längst gespürt, aber doch vielleicht am Tisch sitzend, in einer Ecke auf dem Fußboden oder neben der Tür stehend. Schließlich hatte er allen Grund, ihr an diesem Morgen Abbitte zu leisten, denn er hatte gestern das Buch an sich genommen, ohne sie vorher um Erlaubnis zu fragen. Die halbe Nacht hatte sie auf ihn gewartet, da er doch versprochen hatte zurückzukehren, um mit ihr gemeinsam darin zu lesen. Was er nicht getan hatte.
    Auch wenn das Rauschen des Regens alle anderen Geräusche überdeckte, wurde Marian rasch klar, dass sie allein war. Ihr nächtlicher Geist, ihr zärtlicher Geliebter hatte sein Versprechen wieder einmal nicht eingelöst. Gehörte das etwa zur Natur eines Geistwesens, dass man sich auf seine Worte nicht verlassen konnte? Waren sie ebenso wandelbar wie sein Körper, der verschiedene Gestalten annahm und sich sogar als grauer Dunst durch ein Schlüsselloch schlängeln konnte? Ach, wieso hatte sie ihm jemals vertraut!
    Sie spürte, dass ihr die Tränen in die Augen steigen

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