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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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suchen helfen?«
    Sie war so versunken, dass sie Lillian und Elisabeth, die den Flur entlang zur Treppe gingen, gar nicht bemerkt hatte. Blitzschnell schloss sie ihre Finger um das Amulett, doch sie konnte nicht verhindern, dass die beiden das Band sahen, an dem Darion es um den Hals getragen hatte.
    »Ach je!«, bemerkte Lillian. »Kein Wunder, dass du deinen Schmuck verloren hast! Das Band ist ja gerissen.«
    »Meine Güte, du bist mal wieder schrecklich spät dran, Marian!«, fügte Elisabeth hinzu. »Es ist übrigens schade, dass du gestern nicht mitgefahren bist. Es war eine sehr gelungene Veranstaltung, nicht wahr, Lilli?«
    »Ja, das stimmt. Der Professor war ganz begeistert …«
    Marian raffte sich auf. Mit Mühe gelang es ihr, ein »Wie schön für euch« herauszubringen, dann verharrte sie vor ihrer Zimmertür und sah den beiden nach, bis sie auf der Treppe verschwanden.
    Richtig – das schwarze Seidenband, das sich um die versiegelte Öffnung der Phiole schlang, war zerrissen. Hatte Darion die Phiole gar nicht als Geschenk vor ihre Tür gelegt, sondern das Amulett einfach nur verloren? War das Band gestern gerissen, als er sich so hastig in den Hausangestellten Mills verwandelte, und er hatte gar nicht bemerkt, wie ihm die Phiole vom Hals glitt? Marians glückselige Stimmung sank wieder in sich zusammen.
    Wie auch immer, dachte sie zerknirscht und schob das Amulett in ihrem Ärmel. Ich werde ihn fragen, dann wird sich die Wahrheit schon herausstellen. Dieses Mal falle ich auf keine seiner Ausreden herein!
    Jonathan Mills schien sich wohlweislich von ihr fernzuhalten, denn Marian traf ihn weder auf dem Weg zur Küche noch später, als sie eilig durch die Halle in den großen Unterrichtsraum lief. Dort herrschte heute eine solch explosive Atmosphäre, dass sie sogar vergaß, durch die Fenster in den Garten hinauszuspähen, um Jonathan Mills dort zu entdecken. Professor Serenos schlechte Laune hing wie eine dunkle Wolke im Raum, er barst geradezu vor Nervosität und Unzufriedenheit, und die Beleidigungen, mit denen er seine Schüler traktierte, waren mehr als ehrenrührig.
    »Du gackerst wie ein Huhn, das gerade ein Ei gelegt hat! Hör auf, mit den Augenbrauen zu wackeln wie ein Clown im Zirkus! Ich bin es leid, unfähige Dilettanten zu unterrichten. Geht nach Hause, und hockte euch unter den Küchentisch, aber kommt um Gottes willen nicht auf die Idee, eine Bühne zu betreten!«
    Ganz besonders schlimm beflegelte er jene Schüler, die morgen beim Hauskonzert auftreten sollten. Einen nach dem anderen rief er nach vorn zu sich an den Flügel und pflückte ihn oder sie dort erbarmungslos auseinander. Niemand wagte, dem Meister zu widersprechen oder gar beleidigt zu sein, stattdessen bemühten sich alle voller Verzweiflung, seinen Forderungen gerecht zu werden. Offensichtlich waren sie der Meinung, dass sie durch diese Katharsis hindurchgehen mussten, um für die Aufführung gestählt zu sein.
    »Wenn das Konzert vorbei ist«, flüsterte Juliette Marian zu, »wird er jeden Einzelnen begeistert umarmen und allen erzählen, sie wären großartig gewesen. So ist es immer, man gewöhnt sich daran.«
    »Ich nicht«, gab Marian zurück, die auf heißen Kohlen saß, denn auch sie würde morgen singen. »Wenn er es wagt, mir zu erzählen, ich gackere wie ein Huhn, dann werfe ich ihm die Noten vor die Füße!«
    »Da bin ich gespannt.«
    Doch zu Marians nicht geringem Erstaunen ließ Sereno sie ungeschoren, er schien sie vollkommen vergessen zu haben und rief sie nicht einmal nach vorn. Auch das Duett, das sie mit Juliette singen würde, blieb ungeübt, was Juliette zwar Sorgen bereitete, Marian aber ziemlich kalt ließ.
    »Es klappt ganz bestimmt, Juliette, schließlich haben wir es oft genug miteinander geprobt.«
    Gegen Mittag, als Sereno ihnen vor den Einzelproben eine kurze Pause gönnte, erschienen die beiden Dienstmädchen mit Sandwichs und Tee. Marian saß mit Juliette und zwei der jungen Herren zusammen, man unterhielt sich leise, schlürfte den Tee und achtete sorgfältig darauf, sich auf keinen Fall an einem Sandwichkrümel zu verschlucken. Mitten im Gespräch jedoch wäre Marian das Käsesandwich fast im Hals stecken geblieben, denn was sie durchs Fenster erblickte, war ebenso unglaublich wie beklemmend.
    Man sah Mrs. Waterfield im dunkelgrünen Regenumhang durch den Garten zum Unterstand stapfen, einen Korb für Feuerholz hinter sich herziehend.
    »Wie merkwürdig!«, sagte einer der beiden jungen Männer.

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