Gesang der Daemmerung
gewesen wäre. So hingegen blieben ihm nur die Wut der Verzweiflung und das Wissen um die unausweichliche Niederlage. Doch dieses Mal würde Gorian ihn nicht lebendig bekommen! Er würde sterben, sich in roten Nebeldunst verwandeln, der sich mit den Wolken der Morgendämmerung über dem Meer vereinigte.
Ein schwarzer Arm stieß Darion entgegen, in der Faust das dunkelblaue scharf geschliffene Schwert, und er hörte sich vor Anstrengung stöhnen, als er den Hieb parierte. Noch nicht, noch schlug sein Herz, sein Wille war ungebrochen, und seine Muskeln gehorchten ihm. Ein tiefer Stich drang in seinen ungeschützten Rücken, auch an den Seiten war das graue Gewand der Nacht von zahllosen Schnitten durchlöchert. Er dachte an Marian, versuchte, sich ihr Bild vor Augen zu rufen, während er weiter gegen die Übermacht anfocht, immer untauglichere Verteidigungsschläge austeilte. Um Marians willen würde er sterben, um seiner Liebe willen, die sich nur ein einziges Mal erfüllt hatte. Er hatte eine Lichtelbin geliebt, die Königin der Lichtelben hatte in seinen Armen gelegen. Vielleicht hatte er mehr Glückseligkeit erfahren, als einem Wesen zustand. Und doch war es bitter, so ohne Abschied von ihr gehen zu müssen, einen elenden Tod unter den Schwertern dieser Feiglinge zu erleiden, und die Geliebte schutzlos zurückzulassen.
Die Schläge, die Darion austeilte, wurden ungenau, er sah, wie seine Gegner zurückwichen, ohne getroffen worden zu sein, bemerkte das höhnische Grinsen in ihren Gesichtern, hörte, wie sie sich Mut zuriefen.
»Nicht nachlassen – gleich haben wir ihn!«
Die Rufe hallten überlaut in seinen Ohren wider. Auch vernahm er ein Brausen, das an die schäumende Brandung des Meeres erinnerte, das aber hier in den Hügeln des schottischen Hochlandes nur von einem starken Wind stammen konnte.
»Da – er taumelt schon! Zwei nach links, die anderen zur rechten Seite! Passt auf, Schwachköpfe – Gorian will ihn lebendig haben!«
»Lebendig?«
»Ganz recht – lebendig!«
»Tot wäre einfacher.«
Tot … tot … tot … Es klang, als hätte jemand in einen großen leeren Raum hineingerufen, und die Worte hallten von allen Seiten zurück. Lebendig … tot … tot … lebendig …
»Vorsicht!«, brüllte jemand dazwischen. »Da ist noch einer. Nehmt ihn in die Zange! Umringt ihn! Verflucht noch einmal, was seid ihr denn für Memmen?!«
Der Kampf flammte erneut auf, Gestalten bäumten sich gegeneinander, stürzten in die Tiefe, andere traten an ihre Stelle. Schatten von Armen und Beinen, zu schwarzen Klumpen verkeilte Kämpfer, herrenlose Schwerter, zuckende Leiber, fluchende Münder. Er sah graues langes Haar im Wind flattern, und die große Gestalt des Kriegers schien seine eigenen fast versiegten Kräfte neu zu beleben. Unerwartet war er aufgetaucht, stand ihm als mächtiger Kampfgenosse zur Seite.
»Das Elbenbuch!«, dröhnte es in Darions Ohren. »Wo ist es?«
»Es ist verloren!«, stöhnte er. »Für alle Zeit in den feuchten Händen der Wassergeister.«
»Verloren?!«
Verloren … Verloren … Das fatale Wort hämmerte in seinen Ohren, als stünde dort ein Schmied am Amboss und schlüge emsig auf das harte Metall ein. Verloren … verloren … für immer und ewig verloren …
Wütend zischten und brausten die Wellen, brachen sich donnernd an kantigem Fels, die langgezogenen gierigen Schreie der Meeresvögel mischten sich in das Tosen des nassen Elements. Darunter vernahm er den wilden Gesang der Meergeister, die sich in der Brandung tummelten …
»Darion!«
Er fuhr aus seinen Fieberträumen und konnte gerade noch einen rettenden Ast fassen, um nicht aus dem verschlungenen kahlen Gezweig in die Tiefe zu stürzen. Jetzt war auch der Schmerz da, den er im Halbschlaf nur verhalten gespürt hatte, und er stöhnte leise, während er seinen zerschlagenen Körper auf dem unbequemen Sitz zurechtrückte. Die rettende Zuflucht, zu der Aladion ihn getragen hatte, bestand aus einem riesigen Baum, der seine knotigen ineinander verhakten Äste gleich einem gewaltigen Wurzelwerk gen Himmel streckte. Darion hatte von dieser Esche reden hören, die seit Anbeginn der Welt auf einer kahlen Felseninsel wuchs, wo außer ihr weder Gras noch Halm Nahrung fanden. Sie sog ihre Lebenskraft aus einem unterirdischen Gewässer, und wer in ihren Ästen Schutz suchte – gleich ob Mensch, Tier oder Geistwesen –, den nahm sie auf und barg ihn vor seinen Feinden im gittergleichen Gewirr eisenharter Zweige. Einen
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