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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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würde, wenn sie jetzt in Kates Zimmer zurücklief?
    »Entschuldigen Sie mich bitte, ich möchte mich jetzt umkleiden.«
    »Ich bitte Sie herzlich – bleiben Sie noch einen Augenblick!«
    Er ließ den Stuhlrücken fahren, um die wenigen Schritte zur Tür hinüberzugehen, und legte seine Hand auf den Türknauf. Panik erfasste Marian, denn damit hatte er ihr den Rückweg abgeschnitten.
    »Verzeihen Sie mir meinen Überschwang, Marian!«, bat er. »Sie haben sicher keine Ahnung, wovon ich rede.«
    »Allerdings nicht.«
    Immerhin sprach er jetzt wieder in seinem normalen Tonfall, wenn auch sein Gesicht noch reichlich verklärt anmutete. Marian entspannte sich und überlegte fieberhaft, ob er vielleicht einen Anfall gehabt hatte. Eine Geistesverwirrung, die nur hin und wieder auftrat und nicht lange anhielt?
    »Niemand hat Ihnen gesagt, dass Sie eine Lichtelbin sind, nicht wahr?«, fuhr George fort. »Aber schauen Sie doch in den Spiegel, Marian, dann werden Sie es erkennen! Die silbrige Haut. Das gleißend helle Haar. Elbenaugen, die ihre Farbe verändern und die Natur in all ihren Formen spiegeln. Sie sind eine Elbin und können Geistwesen ebenso wie Menschen sehen. Haben Sie das wirklich noch nie bemerkt?«
    Es wurde ihr unheimlich. Was er da sagte, klang irrsinnig, und doch war etwas Wahres daran. Die Sache mit ihren Augen und ihrer Haut. Auch dass sie Geistwesen sehen konnte, zumindest manchmal.
    »Eine Lichtelbin?«, fragte Marian unsicher, denn sie fürchtete, ihn in seinen Verrücktheiten zu bestärken. »Aber ich weiß nicht einmal, was das ist!«
    »Ein Naturwesen – ebenso wie Wassernymphen, Nebelfrauen oder Geister der Nacht … Wir werden Ihnen alles erklären, Marian.«
    Was redete er da nur? Wen meinte er, wenn er »wir« sagte? Vor allem aber …
    »Geister der Nacht? Was ist das?«
    George erschien ihr jetzt auf einmal abwesend, blickte an ihr vorbei zum Fenster hinaus und nickte sogar mehrfach, als wollte er jemandem ein Zeichen geben.
    »Die Geister der Nacht?«, wiederholte er zerstreut.
    Dann besann er sich und lächelte ihr beruhigend zu. »Es gibt verschiedene, Marian. Die meisten sind harmlos, sie steigen in der Dämmerung aus Pflanzen und Teichen, streifen als dunkle Nebel umher und trinken den Tau der Nacht. Gefährlich sind nur die Nachtschatten, die von dem ehrgeizigen Gorian beherrscht werden. Man erkennt sie an dem grauen Kleid der Nacht, das ihren Körper umgibt, und an ihrer Haut, die die bleiche Farbe des Mondes besitzt. Gorians Krieger tragen darüber hinaus ein dunkles Kettenhemd und ein kurzes Schwert.«
    »Gorians Krieger …«, stammelte sie verwirrt.
    »Gorians Krieger, die erbarmungslos jede Lichtelbin zu Tode hetzen. Vor ihnen müssen wir Sie schützen, Marian.«
    In ihrem Kopf drehte sich alles im Kreis. Schon wieder wollte jemand sie beschützen, dieses Mal der arme Vetter George! Das letzte Mal war es Darion gewesen, ein Lügner und ein Dieb. Und der eine fatale Ähnlichkeit mit der von George so eindrücklich geschilderten Spezies der Nachtschatten besaß …
    Das konnte alles gar nicht sein! Wäre sie eine Lichtelbin und Darion ein Nachtschatten, dann hätte er sie doch zu Tode hetzen müssen. Aber vielleicht war er ja gerade dabei, dies zu tun? Er hatte sie belogen und bestohlen, er hatte Liebe und Sehnsucht in ihr erweckt und sie dann böswillig verlassen. War das nicht das Gleiche? Nein, eigentlich nicht, zumindest nicht ganz. Es war ein Anfang.
    »Wir haben alles vorbereitet, Marian«, sagte George aufgeregt und streckte ihr mit einer linkischen Geste seine Hand entgegen. »Wir Lichtelben werden Sie an einen sicheren Ort bringen, dorthin, wo kein Nachtschatten Ihnen etwas antun kann. Kommen Sie mit …«
    Gerade eben hatte sie noch geglaubt, der arme Vetter George redete im Irrsinn auf sie ein – jetzt begann sie zu fürchten, sie selbst befände sich in einem Zustand der Geistesverwirrung. Wie hätte sie sonst Mr. und Mrs. Crincle an der Wohnzimmertür erblicken können? Sie strahlten sie an, lächelten verklärt, als wäre sie eine Erscheinung der Heiligen Jungfrau, und winkten ihr herbeizukommen. Besonders Mr. Crincle mit seinen dünnen überlangen Armen sah sehr seltsam dabei aus. Befremdlich war auch, dass Mrs. Crincle ihr ein weites dunkelblaues Cape entgegenhielt und Anstalten machte, es ihr um die Schultern zu legen.
    »Beeilen Sie sich, Herrin! Es ist kalt, und der Weg ist weit, doch wir haben einen mächtigen Beschützer …«
    Das Cape war mit einem weichen

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