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Gesang der Daemmerung

Gesang der Daemmerung

Titel: Gesang der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan MacFadden
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Mutter war eine hervorragende Köchin, das kalte Rindfleisch war zart, die Soße delikat, und Kates Vater wusste die jungen Leute mit Anekdoten und Erinnerungen zu unterhalten. Für ein Weilchen vergaß Marian sogar den ungetreuen Darion und das gestohlene Buch und gab sich ganz und gar der fröhlichen Stimmung hin. Nach dem Essen wurde die Teekanne hereingetragen, und die beiden jungen Frauen verschwanden in Kates Zimmer, um die Kleiderfrage anzugehen.
    »Schau, Marian: Dieses blaue Kleid würde dir wunderbar stehen. Oder das grüne. Nein, probier zuerst das cremefarbene! Das war auch das teuerste, allein der Stoff hat uns fast ruiniert …«
    Die Kleider waren mit viel Liebe genäht, aber wie Marian schon vermutet hatte, taugten sie nicht für ihren Zweck. Die hochnäsigen Schülerinnen des Professors würden vermutlich die Nase rümpfen, weil die Schnittmuster gar zu altbacken wirkten und die überall sorgsam aufgenähten Spitzen nicht der neuen Mode entsprachen. Da war es schon besser, in ihrem eigenen schmucklosen Kleid aufzutreten.
    Um Kate nicht zu enttäuschen, schlüpfte sie trotzdem in das cremefarbene Kleid. Der Rock war zwar ein klein wenig zu lang, aber das eng geschnittene Oberteil passte sich perfekt ihrem Körper an. Nur der offenherzige Ausschnitt behagte Marian nicht, während Kate jedoch behauptete, es sähe entzückend aus, ihre Haut glänzte wie Silber und wäre vollkommen makellos.
    »Du Glückliche! Ich musste stundenlang pudern, um meine blöden Sommersprossen zu verdecken!«, seufzte Kate und zupfte noch ein wenig an dem Rock herum. »Geh hinüber, und führe es vor – ich bin sicher, sie werden hingerissen sein!«
    »Was du für einen Unsinn redest, Kate! Aber da wir die Maskerade nun einmal angekündigt haben, will ich die Zuschauer nicht enttäuschen.«
    Erst als sie das Wohnzimmer betrat, wurde Marian klar, dass diese Vorstellung mit zum Komplott gehörte. Dort befand sich nur noch Vetter George, ein schuldbewusstes Lächeln auf den schmalen Lippen, während sein Blick sie sehnsuchtsvoll zu verschlingen schien.
    »Meine Tante, Mrs. Feathers, lässt sich entschuldigen, der Haushalt nimmt sie in Anspruch. Mr. Feathers ist zur Arbeit gegangen und wird erst gegen Abend zurückkehren. So werden Sie leider mit meiner Gesellschaft vorliebnehmen müssen, Marian.«
    Sie versuchte, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, und erklärte, seine Gesellschaft wäre ihr sehr angenehm. Als sie sich suchend nach Kate umsah, erklärte George ihr, seine Cousine wäre soeben von ihrer Mutter in die Küche gerufen worden. Oh, Kate – du kleine hartnäckige Kupplerin!
    »Sie wird nicht lange fortbleiben«, meinte er beruhigend, als er ihr Befremden bemerkte. »Sie müssen keine Sorge haben, Marian!«
    »Na schön«, gab sie verärgert zurück. »Dann will ich jetzt hören, ob dieses Kleid Gnade vor Ihren Augen findet, damit ich mich wieder umziehen kann.«
    George stand beim Esstisch, auf dem nur noch einige Teetassen und die Kanne zurückgeblieben waren, und hielt sich mit beiden Händen an einem der hohen Stuhlrücken fest. Nein, Vetter George würde ganz sicher nicht wagen, ihr nahezutreten, dazu war er viel zu ängstlich! Mit weit aufgerissenen hellblauen Augen starrte er auf Marians offenherziges Dekolleté, als gäbe es dort etwas zu sehen, das einzigartig in der Welt war.
    »Die Phiole der Elbenkönigin!«, hörte Marian ihn andächtig flüstern. »Seit Jahrhunderten war sie verschollen, wir alle glaubten, sie wäre in die Hände der Nachtschatten gefallen.«
    »Wie bitte?!«
    Er war ja durchaus ein komischer Kauz, aber bisher hatte Marian niemals daran gezweifelt, dass in seinem Oberstübchen alles am rechten Platz war. Jetzt allerdings war sie in dieser Hinsicht nicht mehr so sicher, denn das strahlende Lächeln, mit dem George sie beglückte, kam ihr verdächtig vor – um nicht zu sagen … merkwürdig. Äußerst merkwürdig sogar.
    »Ich wusste es schon, als ich Sie zum ersten Mal erblickte«, fuhr er fort, und sein lockiges, rotes Haar sträubte sich in die Höhe, während er sprach. »Ich sah es Ihnen an, Herrin, dass Sie aus dem Hause der Königin stammen. Die Zeit ist da, und ich bin glücklich, in ihr leben zu dürfen …«
    Sein Geschwätz kam Marian bekannt vor. Hatte nicht Ähnliches in diesem seltsamen Schreiben gestanden? Natürlich – Vetter George hatte ihr diesen Brief geschickt! Himmel, wie kam sie nur wieder heil aus dieser verrückten Situation heraus?! Ob er ihr am Ende folgen

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