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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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kümmern.
    »Woher haben Sie diesen Text?« wiederholte Bonnet. »Sie wissen, welchen ich meine.«
    André räusperte sich vernehmlich. »Warum interessiert Sie das?«
    »Das kann ich Ihnen ganz offen sagen: Weil ich ihn für ein bislang unbekanntes Lied des Troubadours Marcabrun halte – deshalb!«
    André fiel in sein Schweigen zurück.
    »Und«, fuhr Bonnet fort, »wenn ich das sage, hat das Gewicht.«
    »Wieso?«
    »Ich bin Literarhistoriker, Professor an der Sorbonne, Experte für überliefertes Schrifttum der Troubadoure.«
    Literarhistoriker! Professor an der Sorbonne, einer der großen Universitäten der Welt! Experte für Troubadour-Schrifttum!
    André wurde es schwindlig.
    »Sie halten den Text für echt?« brachte er mühsam hervor.
    »Ich kann Ihnen sogar exakt das Jahr der Entstehung sagen, es hat also keinen Zweck, mir etwas zu verschweigen. Man hat mir mitgeteilt, daß Sie in der Gegend herumstreifen. Sie müssen dabei auf einen unglaublichen Schatz gestoßen sein, auf einen Schatz der Literatur, über dessen Bedeutung Sie sich selbst vielleicht gar nicht ganz im klaren sind. Ich bitte Sie deshalb, die Karten auf den Tisch zu legen.«
    André schwieg.
    »Wie viele solche Lieder haben Sie gefunden?«
    André blieb stumm.
    Geld, dachte Bonnet, ich muß ihm Geld bieten. Die heutige Jugend ist geldgierig.
    »Ich kaufe Ihnen alles ab, André.«
    »Abkaufen?« André war aufgefahren. »Ich verkaufe meine Seele nicht!«
    »André, diese Lieder sind doch nicht Ihre Seele?«
    »Doch, sie sind es!«
    »Dann«, sagte Professor Bonnet, nicht lockerlassend, »muß ich Sie an etwas anderes erinnern: Sie haben eine Pflicht Frankreich gegenüber, Ihrem Volk, Ihrer Nation gegenüber. Eine Pflicht der Literatur gegenüber, der ganzen Weltliteratur gegenüber haben Sie, verstehen Sie! Sie können nicht so tun, als ob es sich da um Ihre Privatangelegenheit handelte. Damit würden Sie sogar gegen das Gesetz verstoßen. Machen Sie sich keine Illusionen, das, was bisher Ihr ganz persönliches Geheimnis allein gewesen sein mag, ist nun kein solches Geheimnis mehr.«
    Die eindeutige Drohung, die in diesen Worten lag, gab vielleicht den Ausschlag.
    André antwortete: »Sie können, meinten Sie, sogar exakt das Jahr der Entstehung dieses Liedes sagen?«
    »Ja.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Ich bin sicher, es ist das Jahr 1183, höchstens 1184.«
    »Woher wollen Sie das so genau wissen?«
    »Es würde lange dauern, Ihnen das zu erklären. Ich bin Experte. Ein Experte hat einen Blick, ein Ohr, ein Gefühl für das Echte und das Falsche auf seinem Spezialgebiet. Mein Spezialgebiet sind die Troubadoure, und deshalb bin ich in der Lage, Ihnen zu erklären, daß Sie ein bisher unbekanntes Lied Marcabruns aufgestöbert haben, eines seiner letzten, das 1183 entstanden sein muß, spätestens 1184.«
    André dachte an seine Gruft in der alten, ausgegrabenen Kapelle. Von dort brachte er seine Abschriften mit. Welche Abschriften? Von welchen Originalen? Was fand er denn in jener Nische unter bröckelndem, verwitterndem Gestein?
    Gedichte? Lieder unbekannter Troubadoure? Pergamente? Eng beschriebene, vergilbte, brechende Papiere?
    In Andrés Schläfen hatte das Blut zu pochen begonnen. Er zwang sich, dem Blick Bonnets, der ihn erwartungsvoll ansah, nicht auszuweichen.
    Marcabrun … klopfte es im Hirn der Küsterjungen … ein echter Marcabrun … eines seiner letzten Lieder … 1183 … spätestens 1184 … o Jeanette, wärst du doch hier … warum läßt du mich in dieser heißen Stunde allein? … Was soll ich sagen? … Die Wahrheit? … Was würde dieser Professor Bonnet dann tun? Sich abwenden, mich schelten, mich den unbekannten, armen, unbedeutenden Küstersohn auslachen, verhöhnen?
    Und plötzlich wären diese Lieder keinen Schuß Pulver mehr wert, würden sie in den Mülleimer geworfen.
    O du lächerliche, dumme, nur den Namen liebende, bornierte Welt!
    »Meine Annahme stimmt doch«, sagte Bonnet, »Sie haben das Original?«
    André brauchte nur zu nicken, nur mit einem einzigen Wörtchen zu antworten … und ein paar echte, unersetzliche, unsterbliche Zeilen von Marcabrun hatten noch einmal das Licht der literarischen Welt erblickt.
    »Ich nehme sogar an, daß Sie nicht nur dieses Original haben, sondern auch noch andere. In solchen Fällen finden sich immer mehrere Blätter … eine Sammlung … ein Band. Stimmt's?« setzte Professor Bonnet hinzu.
    André brauchte, wie gesagt, nur zu nicken, nur mit einem einzigen Wörtchen

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