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Gesang der Rosen

Gesang der Rosen

Titel: Gesang der Rosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gucken.
    Zum Trinken bestellte er sich eine Limonade. Von den jungen Damen, die den Bürgersteig bevölkerten, wurden dann seine Erwartungen mehr als erfüllt.
    Am Nebentischchen nahm ein älterer Herr Platz, dessen Interessen nicht mehr so sehr denen eines Sechzehnjährigen glichen. Er fragte die Bedienung nach einer Zeitung. Man brachte ihm die ›Le Monde‹. Er schlug sie auf, lehnte sich zurück, und wenn nun unmittelbar neben ihm eine junge Marlene Dietrich vorbeigestöckelt wäre, hätte er für sie auch kein Auge mehr übrig gehabt.
    Andrés Blick streifte manchmal den Kauz, den er komisch fand. Hier Zeitung zu lesen, das verstand er nicht. Doch nur eine Minute später sollte sich seine Einstellung schlagartig ändern. Der Herr am Nebentisch schlug, nachdem er sich über die Politik gründlich genug geärgert hatte, die Feuilletonseite auf. Dort stand ein ganz bestimmter Artikel, dessen Überschrift André ins Auge stach. Sie elektrisierte ihn, lähmte ihn. Sie lautete: PROFESSOR BONNET OPFER EINES BETRUGS.
    Auch die Unter- und Zwischentitel konnte André auf die kurze Entfernung mühelos lesen:
    Ein sechzehnjähriger Junge der Täter.
    Die Lieder Marcabruns ein Schwindel.
    Bonnet unauffindbar in Algerien.
    Literarische Welt in Aufregung.
    Ein nettes Kuchenmädchen, das schon länger André beobachtet hatte, weil er ihr gefiel, kam an seinen Tisch und fragte ihn besorgt, ob ihm übel sei.
    »Mir übel – nein!« wehrte André entsetzt ab, da er sich schon ertappt wähnte, sprang auf, mußte ans Bezahlen seiner Limonade erinnert werden und verließ fluchtartig das Café.
    Am nächsten Kiosk besorgte er sich ebenfalls eine ›Le Monde‹. Nachdem er im Stehen, an eine Hausecke gelehnt, den ganzen Artikel gelesen hatte, dauerte es lange, bis er die Kraft fand, sich wieder in Bewegung zu setzen. Die Zeitung ließ er einfach fallen.
    »He, Sie da!« schnarrte eine unangenehme Stimme hinter ihm. Ein Polizist!
    André hatte das Gefühl, daß sich der Erdboden unter seinen Füßen öffnete.
    »Werfen Sie gefälligst nicht alles einfach weg!« Der Polizist kam näher und wechselte, als er sah, wen er vor sich hatte, vom ›Sie‹ zum ›Du‹ über. »Heb deine Zeitung auf und steck sie in eine Abfalltonne! Hat man dir in der Schule oder zu Hause noch nicht gesagt, daß sich das so gehört?«
    Den ganzen Tag irrte André in der großen Stadt herum. Die Sonne sank schon, als er sich im Bois de Boulogne, nahe der Straße nach Longechamps, erschöpft auf eine Bank setzte, die breit genug war, um kurz darauf auch noch zwei alte Herren dazu zu verlocken, zu einer kleinen Rast Platz zu nehmen. Höflich fragten sie André sogar, ob er etwas dagegen hätte.
    Dann unterhielten sich die beiden. Sie hatten, das war gleich zu merken, vorher schon auf ihrem Spaziergang über Kultur gesprochen. Beide waren Gymnasiallehrer im Ruhestand. Der eine hatte alte Sprachen, vor allem Latein, gegeben, der andere Geschichte und Geographie.
    »Und was sagst du zu diesem André Tornerre?« fragte nun der Altphilologe seinen Kollegen.
    »Zu welchem André Tornerre?«
    »Hast du die Zeitung heute denn noch nicht gelesen?«
    »Welche Zeitung?«
    »Die deine natürlich – ›Le Monde‹!«
    André lauschte starr. Hört denn das nicht mehr auf? dachte er.
    Aber es hatte ja gerade erst angefangen.
    »Über ›Le Monde‹ habe ich mich so geärgert, daß ich Sie im vorigen Monat abbestellt habe. Die sind mir seit neuerer Zeit zu amerikafreundlich«, sagte der Geschichtslehrer.
    »Das ist mir neu. Seit wann hast du etwas gegen die Amerikaner?«
    »Schon lange.«
    »Und warum?«
    »Weil sie mir zu sowjetfreundlich sind.«
    »Aha. Ja, das sehe ich ein.«
    »Siehst du.«
    »Aber das Feuilleton von denen ist gut.«
    »Von den Amerikanern?«
    »Von ›Le Monde‹.«
    »Also, schieß schon los, was schrieben sie von diesem … wie hieß er?«
    »André Tornerre.«
    »Den meinst du doch?«
    »Ja«, nickte der Lateinlehrer und setzte hinzu: »Ein unglaubliches Früchtchen, sechzehn Jahre alt, aber wenn man liest, was er gemacht hat, möchte man nicht glauben, daß das möglich ist.«
    »Was hat er denn gemacht?«
    Der Lateinlehrer berichtete nun das Ganze, und der Geschichtslehrer, dessen Erstaunen dabei rasch mehr und mehr wuchs, konnte am Schluß auch nur dasselbe konstatieren: »Ein unglaubliches Früchtchen, fürwahr!«
    »Allerdings«, korrigierte er sich, »vielleicht auch ein genialer Bursche.«
    »Wie bitte?«
    »Ein genialer Bursche.«
    »Ich

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