Gesang der Rosen
gefallen wird, ist eine Benachrichtigung der Presse …«
»Großer Gott!« stieß Bonnet hervor.
»Es hilft nichts«, sagte Rouvière unerbittlich, »die Sache verlangt eine sofortige Richtigstellung.«
»Ich muß mich aufhängen«, stöhnte Bonnet, der dadurch kund tat, daß er wenigstens nicht mehr ans Erschießen dachte.
»Aber vorher«, erklärte Rouvière, unbeeindruckt auf die Pergamente weisend, »müssen Sie den Dingern den Rang von Originalen absprechen, müssen Sie sie als Fälschungen deklarieren.«
»Ich bin erledigt«, sagte Bonnet und ließ den Kopf hängen. »Ich kann mich bis an mein Lebensende nur noch in ein Mauseloch verkriechen.«
Jetzt dachte er also auch nicht mehr an den Strick. Es ging also schon wieder ein bißchen aufwärts mit ihm. Plötzlich fiel ihm der Schuldige an allem ein, und er legte los. »Den werde ich mir kaufen! Ich erschlage ihn! Kein Jugendschutzgesetz soll mich davon abhalten können! Wie lange wollen wir hier in Paris überhaupt noch auf ihn warten, mit den Händen im Schoß, Rouvière?«
»Ich schlage vor: Geben wir ihm eine Frist von drei Tagen.«
»Und wenn er nicht auftaucht, was machen wir dann?«
»Dann würde ich einmal nach Carpentras fahren und dort nachsehen.«
Rouvières Ratschläge leuchteten ein. Man einigte sich darauf. Der Untersuchungsrichter verabschiedete sich dann, während Saintine die Einladung Bonnets, noch auf ein Gläschen zu bleiben, annahm.
»Ich brauche jetzt Gesellschaft, Henry«, sagte Bonnet. »Du würdest mir einen großen Gefallen erweisen, wenn du mich nicht allein ließest.«
Rouvière blieb an der Tür noch einmal stehen und hob den Zeigefinger. »Vergessen Sie die Nachricht an die Presse nicht, Bonnet. Sie sind das der Öffentlichkeit schuldig.«
Als die Tür hinter ihm zugefallen war, stieß Bonnet hervor: »Idiot!«
Wieder einmal hatte sich also, wie so oft in solchen Fällen, der Zorn des Ermahnten gegen den unschuldigen Ermahner gekehrt.
Julien Bonnet köpfte eine gute Flasche und fragte nach dem ersten gemeinsamen Schluck seinen Freund: »Könntest du das nicht übernehmen, Henry?«
»Was?«
»Die Benachrichtigung der Presse.«
»Ich?«
»Du kennst doch diesen Chefredakteur von ›Le Monde‹ gut.«
»René Carvue?«
»Ja.«
»Ich gehe zusammen mit ihm auf die Jagd, aber …«
»Dann könntest du doch ohne weiteres mit ihm reden«, unterbrach Bonnet.
»Reden kann ich natürlich mit ihm …«
»Na also! Ich danke dir!«
»… aber ich bin sicher, daß er sofort dich selbst sprechen will, Julien.«
»Das wird ihm nicht gelingen. Ich gehe nicht ans Telefon. Ich mache die Tür nicht auf. Meiner Haushälterin gebe ich Urlaub. Die Wohnung wird tot sein. Sag ihm, daß ich nach Algerien gefahren bin und mich von meiner dort lebenden Schwester pflegen lasse. Ich sei krank. Sag ihm, alles sei das Werk dieses Fälschers.«
»Rouvière meint doch, die Fälschungen seien dem noch nicht nachgewiesen.«
»Rouvière ist ein Idiot!«
Saintine sträubte sich noch, auf Bonnets Kurs einzuschwenken, aber nach dem vierten Glas war sein Widerstand gebrochen, und er erklärte sich bereit dazu, mit seinem Jagdfreund Carvue zu sprechen.
*
Drei Tage später.
André Tornerre hatte sein Quartier gewechselt. Es war ihm gelungen, ein preiswertes Zimmer in einer Pension am Rand des Quartier Latin zu finden. Sein Plan war gewesen, Paris ein paar Tage allein auf sich einwirken zu lassen und sich erst dann bei Professor Bonnet zu melden. Aber die Metropole war zu mächtig für ihn, zu gewaltig, zu verwirrend. Zu vieles stürmte auf ihn ein, er fühlte sich verloren.
Schon das Erlebnis im glitzernden Bannkreis des ›Ritz‹ war eine Pleite gewesen. Er faßte deshalb den Entschluß, sich bereits eher bei Bonnet einzufinden.
»Morgen«, sagte er in der Stille seines Zimmers laut zu sich selbst.
Draußen schien die Sonne. André fragte sich, ob er heute den Louvre aufsuchen sollte oder die Ruhestätte Napoleons. Aber dann siegten die hübschen Mädchenbeine, die er auf einer der herrlichen Straßen an sich vorüberziehen lassen wollte. Er war sechzehn Jahre alt. Auch wenn ihm, einem Franzosen, die Verehrung Napoleons mit der Muttermilch eingegeben worden war, wogen für ihn hübsche Mädchenbeine doch noch schwerer.
Vor einer Viertelstunde hatte er gefrühstückt. Nun verließ er seine Pension und erlag schon wenige Minuten später der Versuchung, sich in eines der berühmten Straßencafés zu setzen und nichts zu tun, als nur zu
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