Gesang des Drachen
hatte sich mit unsichtbaren Widerhaken in sein Fleisch gebohrt und holte seine Beute unerbittlich ein.
Spyridon musste nach Cuan Bé, selbst wenn er das geheime Lager der Iolair damit verriet und in höchste Gefahr brachte. Da sich Yevgenji durch einen Treueschwur Alberich gegenüber in seinen Gegner verwandelt hatte, hatte Spyridon nun demjenigen zu dienen, der Alberichs größter Feind war – und das war die Geheimbasis der Iolair in Cuan Bé. Verkompliziert wurde die Angelegenheit dadurch, dass das Lager womöglich in die Hände eines weiteren schrecklichen Feindes gefallen war ...
»Ich hoffe nur, dass der Schattenlord die Macht in Cuan Bé nicht vollständig innehat«, sagte Spyridon mit leiser Stimme. Auf seiner Stirn glänzte es feucht.
Naburo schwieg. Sie wussten beide, dass es wahrscheinlich so war. Der Schattenlord hatte Cuan Bé eingenommen. Mit gesenktem Kopf ließ Naburo Spyridon los und überlegte, was er sagen konnte, um die innere Zerrissenheit des Freundes zu lindern. »Der Schattenlord kann dich nicht zwingen, gegen die Gestrandeten und Laura anzutreten, da sie Verbündete der Iolair sind. Das hast du selbst gesagt.«
»Ja.« Spyridon presste das Wort heraus wie ein Elf in der Versteinerung. Er ging weiter geradeaus, immer hinauf, durch das weiche Gras eines Hangs.
Die Berge, die sie seit mehreren Stunden durchwanderten, verwandelten sich in goldgrüne Hügel. Azurblauer Himmel spannte sich über eine idyllische Landschaft, die Naburo entfernt an die Wälder und Auen seiner Heimat erinnerte. Es gab Bäume, die Kristall-Bonsais und Ahornen mit weißsilbernen Blättern ähnelten. Einst hatten auf dem Boden Diamanten und andere Edelsteine gelegen, doch inzwischen hatte Alberich alles an sich gebracht, was es in Innistìr zu holen gab. Trotzdem schienen sich die Halme an den Glanz der Gemmen zu erinnern und in einem Widerschein ihres Glanzes zu leuchten. Auch in der Luft lag ein verzaubertes Funkeln, und die bunten Blumen rochen nach Rosenblättern.
Ein schöner Ort. Er würde Hanin gefallen. Am liebsten hätte Naburo sich in Gedanken über die schöne Assassinin verloren, die ihm ihr Herz geschenkt hatte. Aber er musste wachsam sein. Spyridon ging es mit jedem Wegabschnitt schlechter. In seinen sonst so lebhaften Augen lag ein Glitzern, das Naburo nicht gefiel und ihn an die Blicke gehässiger Kobolde erinnerte. Was war, wenn der Ewige Todfeind die Kontrolle über sich verlor, weil der Fluch zu stark wurde?
Spyridon begegnete seinem Blick. »Du hast Angst vor mir, das sehe ich.«
»Es ist keine Angst. Nenn es Vorsicht.«
»Du tust gut daran, vorsichtig zu sein.« Mit langen Schritten stapfte Spyridon den Hügel hinauf. Das Land öffnete sich unerwartet vor ihnen und präsentierte einen türkisblauen See, eingerahmt in fruchtbares Grün. Spyridon hielt genau auf das Gewässer zu.
Ob er Durst hatte? Vielleicht wollte er unten am steinigen Ufer entlanggehen, wo keine Büsche wuchsen und der Boden weniger nachgab.
»Der Sog ist schlimmer geworden, oder?«
Spyridon schloss die Augen, ging aber trotzdem weiter. »Er ist wie ein Feuer, das mich von innen her verbrennt.« Seine Finger berührten das Cairdeas am anderen Handgelenk. »Ich spüre, dass Yevgenji sich gegen Alberich wehrt und sich ihm entzieht, soweit es geht. Das gibt mir Kraft. Noch.« Ein lebloser Ausdruck legte sich wie eine Maske auf sein Gesicht.
Als er die Augen wieder öffnete, glaubte Naburo einen Moment, nicht Spyridon, sondern Yevgenji vor sich zu sehen. Alberich hatte den anderen Ewigen Todfeind überwältigt und zur Treue gezwungen. Aufgrund dieses geschickten Schachzugs hatte er nicht nur einen der besten Kämpfer an seiner Seite, sondern der Drachenelf konnte nun auch noch die Geheimbasis der Iolair aufspüren. Er brauchte nur Spyridons »Fährte« zu folgen, und sein »Fährtenhund« war durch die starke Verbindung zwischen den Ewigen Todfeinden Yevgenji.
Wie Naburo es auch drehte und wendete, er fand aus der Situation keinen Ausweg und konnte bestenfalls hoffen, dass der Schattenlord und Alberich einander vernichten würden. Sollten sie sich gegenseitig die Köpfe einschlagen!
Sie kamen dem Wasser näher.
»Im Grunde bin ich froh über die Situation.« Spyridon wischte sich mit einer fahrigen Geste Schweißperlen vom Gesicht. »Der Trennungsschmerz hat nachgelassen. Zwar hatte ich gehofft, nie wieder gegen Yevgenji antreten zu müssen, aber zumindest bin ich guter Dinge, dass wenigstens einer der beiden Bösen
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