Gesang des Drachen
zuckte aber trotzdem zusammen, als er den Aufschlag hörte.
Stille senkte sich über den Platz. Sogar die Gläubigen wirkten verstört, als hätten sie nicht mit der Grausamkeit ihres Propheten gerechnet.
Rimmzahn sah sich unter ihnen um; der Schattenelf an seiner Seite machte jede Bewegung mit. Niemand erwiderte seinen Blick. Menschen und Elfen hielten den Kopf gesenkt. Manche kneteten nervös ihre Finger.
»Das war ein Akt der Gnade«, sagte der Schweizer.
Cedric spannte sich an, um Simon notfalls erneut zu Boden zu werfen und vor sich selbst zu schützen, doch der Zweite Sucher rührte sich nicht. Er sah zum Waldrand. Dort irgendwo zwischen den Bäumen musste Micah aufgeschlagen sein.
»Ein Akt der Gnade«, wiederholte Rimmzahn eindringlicher und lauter. »Der Schattenlord hat den Ungläubigen einen der Ihren entrissen – und haben ihre falschen Götter ihn beschützt?«
Er ging nun zwischen seinen Jüngern auf und ab. Cedric und die anderen ignorierte er. Seine Worte galten nicht ihnen.
»Nein. Nichts haben sie getan. Und warum?« Rimmzahn machte eine kurze Pause, aber niemand antwortete. »Weil es falsche Götter sind! Und die Ungläubigen werden das erkennen, die Saat des Zweifels wird in ihnen aufgehen. Dann werden sie ihren Hass und ihre Arroganz ablegen und sich dem wahren Gott zuwenden. Das wollen wir doch alle, oder?«
Die Ersten hoben den Kopf. Entsetzen und Angst wichen langsam aus ihren Blicken.
Sie glauben den Quatsch wirklich, dachte Cedric, ohne Simon aus den Augen zu lassen.
Rimmzahn lächelte. Ihm entging nicht, dass die Stimmung umschlug. »Ja, das wollen wir. Erkennt ihr jetzt die große Gnade des Schattenlords? Er hätte sie alle auslöschen können, denn seine Macht ist stärker als all ihre Magie. Doch er hat ihnen nur einen genommen, damit die anderen zu ihm finden können. Er ist wahrlich ein gütiger Gott.«
»Gelobt sei der Schattenlord!«, schrie ein Flüchtling, den Cedric nicht kannte. »Preiset ihn!«
Nach und nach fielen die Gläubigen in den Chor aus Lobpreisungen und Gebeten ein. Die Fäden, die Rimmzahn mit dem Schattenelfen verbanden, wurden dunkler, als flösse etwas hindurch.
Ernährt sich der Schattenelf von Rimmzahn?, fragte sich Cedric, sprach den Gedanken jedoch nicht aus. Neben ihm setzte sich Simon auf.
Emma legte ihm eine Hand auf die Schulter. Sie schien etwas sagen zu wollen, aber Simon schüttelte ihre Hand ab und erhob sich.
»Mit jeder Stunde, die wir tatenlos zusehen, machen wir uns schuldiger.« Er sprach so leise, dass Cedric sich anstrengen musste, um ihn zu verstehen. »Rimmzahn muss weg!«
Dann drehte er sich um und ging mit langen Schritten den Weg hinunter. Cedric sah ihm nach.
»Wenn er etwas Dummes tut, könnte er uns alle in Gefahr bringen«, sagte Emma, als sie neben ihn trat.
Er hob die Schultern. »Schon möglich, aber anderen Dummheiten auszureden ist nicht gerade meine Stärke.«
»Du unterschätzt dich.«
Dann wandte auch sie sich ab.
Cedric fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Er glaubte immer noch, Micahs Schreie zu hören. Simon hatte recht: Rimmzahn musste weg. Doch nach der katastrophalen Niederlage gegen den Schattenlord würde es nicht leicht werden, Unterstützer für einen neuen Plan zu gewinnen.
Wenn wir wenigstens einen Plan hätten, dachte Cedric. Er warf einen letzten Blick auf die Menge der Gläubigen, deren Gesänge leiser wurden. Armbindenträger teilten sie bereits in Gruppen ein. Cedric hörte Worte wie »Schwerttraining« und »Kampfübungen«.
Er wollte sich zurückziehen, doch dann nahm er eine Bewegung in einem Baum auf der anderen Seite des Platzes wahr. Der Vogeljunge, Peddyr, hockte auf einem der breiteren Äste. Als er sah, dass Cedric ihn bemerkte, nickte er knapp.
Cedric nickte zurück.
2.
See der Tränen
Naburo hatte Mühe, mit Spyridon Schritt zu halten: Der Ewige Todfeind verfiel in einen Dauerlauf. Der General schloss auf und packte Spyridons Schulter. »Nicht. Wir brauchen jeden Augenblick, den du uns schenken kannst.«
Spyridon spannte die Muskeln an. Die Schulter unter Naburos Hand zuckte. Einen Moment fürchtete Naburo, der unsterbliche Krieger würde ihn abschütteln wie ein lästiges Insekt und ihn ins Gras schleudern. Dann löste sich Spyridons Widerstand.
»Ich weiß«, stöhnte er. »Ich muss langsam machen.« Er sagte es mit einer Verzweiflung, als verlange Naburo von ihm, mit dem Atmen aufzuhören – und in gewisser Weise war es genau so. Der Fluch zerrte an Spyridon,
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