Gesang des Drachen
Ende der Schlinge. Das Band aus Licht spannte sich, riss an dem Dactylen und kippte ihn noch ein Stück mehr.
Laura schrie auf und wurde über die Brüstung gefegt. Adrenalin durchflutete sie. Sie spürte einen unangenehmen Schlag am Kopf, stieß sich den Ellbogen und hing plötzlich an der Außenseite des Geländers. Nidi klammerte sich an sie. Sein Schwanz umwickelte ihren Unterarm. Finn packte geistesgegenwärtig eines ihrer Handgelenke, Milt stürzte neben sie. Auch er baumelte mit beiden Beinen über dem Abgrund. Gut fünf Meter trennten sie vom Boden. Hoch genug, um sich alle Knochen zu brechen.
Der Dactyle machte eine Gegenbewegung. Lauras Finger lösten sich mehr und mehr von der Stange. Panik stieg in ihr auf, schwarz und vernichtend.
»Ich kann sie nicht halten!«, rief Finn.
»Josce!«, schrie Nidi.
»Bei Sgiath ... Tiefer gehen!«, brüllte Josce.
Der Titanendactyle sank noch ein Stück ab – kurzzeitig trennten ihn nur gut anderthalb Meter vom Boden.
Laura verlor den Halt. Sie schrie, rutschte an dem gepanzerten Leib entlang, fand kurzzeitig Halt und rutschte weiter. Sie strampelte wild. Neben sich sah sie Milt mit entsetztem Gesicht zu Boden stürzen. Sie fiel auf weiches Moos.
Finn stieß einen erleichterten Schrei aus. Er sprang ab, landete neben ihr auf den Füßen und schüttelte sich mit blassem Gesicht. »Alles okay, Laura?«
»Ja.« Wie durch ein Wunder war sie unverletzt. Offensichtlich waren sie und Milt die Einzigen, die während des Manövers abgestürzt waren. Inzwischen hatte sich der Dactyle wieder gefangen und flog beinahe waagrecht. Es regnet Pechvögel, Donalda, dachte sie sarkastisch. Der Gedanke half ihr, nicht in Panik zu geraten.
Über ihnen gewann der Titanendactyle an Höhe. Er riss mit einem schrillen Kreischen mehrere Sträucher und Baumkronen mit sich. Blattwerk flatterte durch die Luft, Äste brachen splitternd.
Die Schlinge Alberichs löste sich auf. Sie konnten den Drachenelfen bis zu sich fluchen hören.
»Dieser Mistkerl!«, zischte Milt. »Ich hoffe, ihm geht die Magie gründlich aus!«
Sie sahen sich um. Durch die hohe Geschwindigkeit des Dactylen waren sie fünfhundert Meter von den Kämpfenden entfernt gelandet, doch ihr Absturz war nicht unbeobachtet geblieben. Mehrere Echsensöldner rannten auf sie zu.
Lauras Hand suchte den Dolch. Sie trug keine andere Waffe bei sich. Milt und Finn hatten sich Kurzschwerter von Josce geben lassen, die sie nun zogen.
Nidi plusterte sein goldenes Fell auf.
»Weg!«, rief Laura. Was sollten sie gegen diese Übermacht ausrichten? Wenn sie nicht flohen, war es aus.
Nicht du. Naburo erreichte einen geschützten Platz in einem kleinen Wäldchen, ein Stück entfernt von den Kämpfenden. Er bettete die bewusstlose, erneut blutende Hanin zu Boden, legte ihren Kopf auf seinen Schoß. Die Entschlossenheit in ihm war so groß, dass ihn Funken umgaben. Und wenn ich mich selbst dabei auslöschen muss – nicht du, Hanin.
Er schloss die Augen und konzentrierte sich. In wenigen Sekunden schickte er seinen Geist hinauf, über den Rand des Kraters, mitten in den Himmel hinein. Er sah die Schlacht unter sich toben, und er konnte sich und Hanin ausmachen. Erneut streckte er seine mentalen Finger aus, suchte nach Beistand.
Spyridons Worte hallten in seinem Kopf: »Akzeptiere die Welt als Illusion. Und dann geh über dich hinaus und verändere sie. So funktioniert Heilen. Und Töten.«
Er war ein Meister des Tötens. Also musste er auch ein Meister der Heilung sein.
Naburo fand keine Ley-Linie, deshalb tat er, was Spyridon gesagt hatte: Er nahm die Kraft vom Feind, denn Feinde gab es massig. Seine magische Gabe spürte jeden Echsenkrieger in erreichbarer Nähe auf, zerrte und riss an den Auren der Gegner, bis sie ihm Tribut zahlen mussten und ein Teil ihrer Kraft zu ihm heraufstieg. Er sammelte Energie um sich, raubte an vielen Stellen kleinere Mengen von Kraft, bis er seine eigene Aura angereichert hatte, dass sie sich anfühlte wie eine überreife Frucht vor dem Platzen.
Noch immer sah er sich und Hanin von oben. Der Kopf der Assassinin lag auf seinen Beinen. Eine rote Lache breitete sich unter ihr aus. Hanins Gesicht wurde grau. Er konnte sehen, wie das Leben mit dem Blut aus ihr strömte.
»Ich befehle es. Sie soll geheilt werden. Und ich danke dafür, dass mein Wille geschieht.«
Die Wunde schloss sich. Naburo sah, wie schwarzer Rauch aufstieg. Er quoll durch den Schlitz der Lederrüstung, wehte hoch hinauf und löste
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