Geschäfte mit der Ewigkeit
ihr Geld vorerst nur für das Warten bekamen.
Aber sie waren immer bereit. Bereit wie die Reihen von leeren Häusern, die auf ihre Bewohner warteten. Wie die großen Lagerhäuser, die bis obenan mit Lebensmitteln gefüllt waren.
Das Ewigkeits-Zentrum, so sagte sich Nestor Belton, dachte an alles. Es hatte geplant, wie nur eine Organisation selbstloser und idealistischer Menschen planen konnte. Seit fast zweihundert Jahren war das Zentrum Bewacher der Toten, Schützer der menschlichen Hoffnung und Mehrer des zukünftigen Lebens.
Er stand vom Schreibtisch auf und ging an das einzige Fenster seines Studierzimmers. Ein blasser Mond, halb von dahinschwimmenden Wolken verdeckt, machte aus dem Hof des Studentenwohnheims eine Nebellandschaft. Und weit weg, im Nordwesten, erhob sich die mächtige Säule des Ewigkeits-Zentrums.
Er wiederholte sich zum tausendstenmal, wie froh er war, das Zentrum von seinem Fenster aus sehen zu können. Denn der Anblick war eine Inspiration und ein Versprechen. Er brauchte nur einen Blick aus dem Fenster zu werfen und wußte, wofür er arbeitete.
Ewiges Leben, sagte sich Nestor Belton. Niemand brauchte mehr zu sterben. In einem immer jungen Körper konnte man Jahrhunderte und Jahrtausende leben. Man hatte Zeit, seinen Verstand zu entwickeln und sein Wissen zu vergrößern. Man wurde weise, aber nicht alt. Man hatte Zeit, all die Arbeiten durchzuführen, von denen man träumte. Man konnte großartige Musik komponieren, großartige Bücher schreiben, riesige Bilder malen. Man konnte zu den Sternen hinausgehen, die Galaxis erforschen, die Bedeutung der Atome und des Kosmos erarbeiten. Man würde sehen, wie mächtige Berge abgetragen wurden und andere sich erhoben, wie große Flüsse versickerten und neue Quellen entstanden. Und wenn in Jahrmilliarden das Sonnensystem starb, konnte man zu anderen Systemen tief im Raum gehen.
Nestor Belton schlug die dünnen Arme um die magere Brust.
Diese Zeit wollte er erleben.
Und er dachte mit Entsetzen an die Zeiten, als der Mensch einfach gestorben und zu Staub zerfallen war.
Der Wind klapperte an den Regenrinnen über ihm, und es war ein einsamer Laut. Die Schatten im Hof waren ohne Substanz. Das Weiß des Ewigkeits-Zentrums wirkte wie ein milchiges Licht gegen den nachtschwarzen Himmel. So, als sei die Dämmerung nicht mehr weit.
Sechs Jahre Studium in diesem Gebäude lagen vor ihm – wenn er morgen gut abschnitt. Er warf einen letzten Blick auf das milchige Weiß und ging zurück zu seinen Büchern.
14
Die Tischkerzen flackerten, fast heruntergebrannt, und der Geruch von Rosen erfüllte den Raum, der im Kerzenlicht gar nicht so schäbig aussah. Sowohl die Kerzen wie die Rosen hatten einen Hauch von Extravaganz, und Frost bedauerte nicht, daß er Geld für sie ausgegeben hatte. Es war zum erstenmal seit Jahren, daß er nicht allein gegessen hatte, und er konnte sich nicht erinnern, daß er je einen schöneren Abend verbracht hatte.
Ann Harrison hatte nichts mehr von Chapman gesagt, aber sie hatten genug Unterhaltungsstoff – die Europa-Kunstausstellung im Metropolitan Museum; der neue Geschichtsroman, über den jeder sprach; die unvernünftige Haltung der Verkehrspolizisten; die Investierungen im Ewigkeits-Zentrum ...
Und sie sprachen über sich selbst.
Ann war in Manhattan geboren und groß geworden. Sie hatte ihr Rechtsstudium in Columbia beendet, einen Urlaub in Frankreich und einen in Japan verbracht und war seither nie mehr fortgefahren, weil es eine Zeit- und Geldverschwendung schien. Außerdem war sie jetzt so sehr mit ihrer Praxis beschäftigt, daß sie nicht an Urlaub denken konnte.
Und er hatte ihr von seinen Ferien auf der Farm der Großeltern in Wisconsin erzählt. Es war natürlich keine richtige Farm mehr, denn so etwas war längst ausgestorben. Eher eine Art Sommersitz für die Familie.
»Und jetzt ist es nicht einmal mehr ein Sommersitz«, sagte er. »Er gehört der Familie nicht mehr. Als meine Großeltern starben, wurde das Grundstück an eine der großen Grundstücksgesellschaften verkauft und das Geld im Ewigkeits-Zentrum investiert. Vor ein paar Jahren hatte ich einmal geschäftlich in Chikago zu tun. Ich nahm mir einen Tag frei und fuhr hinüber. Es liegt im Westen draußen, hinter einer kleinen Stadt namens Bridgeport. Die Gebäude stehen noch, aber es war natürlich niemand da, und allmählich wirkt alles etwas heruntergekommen.«
»Es ist schade, daß es keine Farmen mehr gibt«, meinte Ann. »Das ganze
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