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Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Titel: Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Kunze
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wäre schön, wenn Mama jetzt doch mit dabei wäre. Ihr wäre sicher etwas eingefallen, um uns von dem, was uns erwartete, abzulenken. Irgendetwas, worüber wir quatschen könnten, damit endlich dieses Kribbeln im Bauch aufhörte und die schwitzigen Hände wieder trocken würden. Mein Kopf war komplett leer. Und Papa war einfach kein großer Redner. Auf den konnte man in Sachen Ablenkung echt nicht zählen! Aber wir hatten es im Familienrat hin und her diskutiert. Und Papa und Kerstin hatten Mama schließlich davon überzeugt, dass es besser wäre, wenn sie nicht mit zum Gericht kam. Sonst könnte vielleicht irgendjemand sagen, sie hätte mich beeinflusst, und auf die Idee kommen, es wäre in Wirklichkeit gar nicht mein eigener Wunsch gewesen, von Mama und Papa adoptiert zu werden und mich endgültig von meiner leiblichen Mutter zu lösen. Dabei war es mein sehnlichster Wunsch! Papa hatte eine distanziertere Art als Mama und alle glaubten, es wäre besser, wenn nur er mit mir zum Gericht ging.
    Mama und Papa hatten immer so viel Angst, irgendetwas falsch zu machen! Wie oft ich in den letzten Monaten Sätze wie diese gehört hatte: »Janine, wir müssen tun, was die sagen! Janine, reiß dich zusammen! Janine, sei vernünftig! Es ist gerade jetzt so wichtig, dass wir keinen Fehler machen!« Immer ging es nur darum, sich an die Regeln zu halten, niemanden zu verärgern, es allen recht zu machen. Es war mir schleierhaft, woher sie die Geduld dafür nahmen. Dabei ging es bei all dem doch eigentlich nur darum, dass meine Eltern endlich auch vor dem Gesetz meine Eltern sein durften. Es war schließlich nicht meine Idee gewesen, als Pflegekind aufzuwachsen! Und auch nicht die von Mama und Papa. Sondern die Idee von der Frau, die uns all diese Probleme eingebrockt hatte: meine leibliche Mutter.
    Frau Antunes und Mama hatten gesagt, eine Adoption sei sehr kompliziert und langwierig und es könnte sein, dass es nicht klappt, wenn meine Mutter nicht zustimmt. Natürlich hatte sie nicht zugestimmt. Deshalb mussten wir heute vor Gericht zu dieser Anhörung. Anhörung hieß, dass meine Mutter und ich befragt wurden. Ich wollte auf keinen Fall, dass sie dabei war, wenn ich befragt wurde.
    Ich fand es so ungerecht, dass sie die Macht hatte, uns allen so viel Angst zu machen. Dass sie die Macht hatte, mein Leben zu zerstören. Das durfte einfach nicht mehr sein. Ich wollte endlich frei sein!
    Der Auftritt, den ich hingelegt hatte, als Frau Antunes wegen der Geburtstagskarte bei uns war, war mittlerweile legendär. Dass ich so rumgebrüllt hatte und einfach auf mein Zimmer gerannt war, hatte natürlich ein Nachspiel gehabt. Es war zwar eigentlich erst einmal gar nichts Großes passiert, trotzdem war es ganz schön turbulent gewesen in den Wochen nach »dem Eklat«. So wurde der Tag, an dem ich einfach alles gesagt hatte, bei uns seitdem genannt. Endlose Diskussionen und Streits mit Mama und Papa sowie ständige Besuche von Frau Antunes folgten. Und viele Stunden, die ich alleine in meinem Zimmer verbracht hatte, in denen ich Musik hörte und meine Gedanken aufschrieb, in Gedichten und in meinem Tagebuch.
    Frau Antunes hatte den Stein mit der Adoption irgendwann ins Rollen gebracht. Mama und sie hatten mir gesagt, dass wir es versuchen könnten mit der Adoption, wenn ich das wollte. Sie hatten auch gesagt, dass es nicht leicht werden würde, weil das Gericht sich dazu über meine Mutter hinwegsetzen musste. Trotzdem: Es bestand die Chance, dass meine Eltern mich gegen den Willen meiner Mutter adoptieren konnten, weil das »zum Wohl des Kindes« war. Ich hatte allerdings nicht das Gefühl, dass sich in all den Jahren mal irgendjemand wirklich für mein »Wohl« interessiert hatte. Niemand außer Mama und Papa. Wieso sollte das also jetzt plötzlich irgendwen interessieren? Noch dazu einen Richter, der mich gar nicht kannte?
    Dass es mir bei Mama und Papa grundsätzlich gut ging, war ja wohl so was von klar! Man brauchte echt keine Psychotante, um das rauszufinden.
    Papa bog in den Hohenzollernring ein und ich schaltete das Radio ein. Papa hörte eigentlich nicht gerne Radio im Auto, weil er keine Popmusik mochte, aber ich wusste, dass es ihm heute nichts ausmachen würde. Alles, was ablenkte, war gut!
    Wenn ich das zu der Psychotante gesagt hätte, hätte sie mich sicher wieder mit ihrem pseudo-entspannten Halblächeln angeschaut und so was in die Richtung gesagt wie: »Es ist immer besser, sich seinen Ängsten zu stellen, Janine.

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