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Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Titel: Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Kunze
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breite Treppe aus braunem Stein, aus der an ihrem Ende drei Treppen wurden: eine ging nach hinten, eine nach rechts und eine nach links. Sie führten zum zweiten Stock, der wie eine Galerie zum Treppenhaus offen war. Ringsum gab es verschnörkelte Geländer aus schwarzem Eisen. Darüber sah man noch ein Stockwerk. Und ganz oben gab es sogar noch eine Fensterreihe! Auch von innen war das Gebäude ganz schön groß. Überall liefen Menschen herum, viele hatten irgendwelche Mappen unter den Arm geklemmt. Einige von ihnen trugen lange schwarze Umhänge, wie Pfarrer. Meine Kehle wurde eng.
    »Unser Sitzungssaal ist im ersten Stock. Versuchen wir es mal über die rechte Treppe«, sagte Papa. Ich folgte ihm zuerst die Haupttreppe hinauf. Dann nahmen wir die Treppe, die auf die rechte Seite der großen kuppelartigen Eingangshalle abzweigte.

Vor Gericht
    Kinder erleben nichts so scharf und bitter
wie Ungerechtigkeit.
    CHARLES DICKENS
    Auf der Galerie im ersten Stock standen lange, dunkle Holzbänke. Papa und ich setzten uns und Papa sagte: »Wir sind keine Sekunde zu früh. Es geht sicherlich gleich los.«
    Als hätte er damit das Stichwort gegeben, öffnete sich die große, dunkle Holztür des Sitzungssaales, vor dem wir warteten. Eine ältere Dame in einem grauen Kostüm trat heraus und kam auf uns zu.
    »Herr Kunze?«, fragte sie.
    »Ja, das bin ich«, antwortete Papa und stand auf.
    »Dann ist das sicher Janine Schuster, Ihre Pflegetochter?«, fragte die Frau lächelnd in meine Richtung.
    Papa nickte.
    Sie erklärte, dass ich zunächst draußen warten sollte, bis meine Mutter angehört worden war. Ich würde danach befragt werden.
    »Kannst du in der Zeit hier draußen alleine warten, Janine?«, fragte Papa.
    Ich nickte.
    Papa folgte der Frau in den Saal. Bevor sich die Tür hinter ihm schloss, drehte er sich noch einmal um und lächelte mir zu. Ich lächelte tapfer zurück. Hoffentlich klappte das alles! Und hoffentlich hatten die nicht vergessen, dass ich ohne meine Mutter befragt werden wollte!
    Es kam mir ewig vor, aber als sich die Tür des Sitzungssaales das nächste Mal wieder öffnete, war tatsächlich erst eine halbe Stunde vergangen. Das wusste ich, weil ich die letzte halbe Stunde eigentlich nichts anderes gemacht hatte, als auf die große Uhr in der Eingangshalle zu starren.
    »Janine?«, fragte die Frau im Kostüm, die Papa vorhin reingeholt hatte.
    »Ja?«
    »Deine Anhörung beginnt jetzt. Kommst du mit hinein?«
    Ich nickte, stand auf und folgte der Frau in den Saal.
    Der Raum war kleiner, als ich nach der riesigen Eingangshalle erwartet hatte. Aber die Decke und die Fenster waren auch hier sehr hoch. Vier große Tische mit jeweils vier Stühlen, die wie in der Schule nur an einer der Längsseiten standen, waren in einem Viereck angeordnet. Einer davon stand ein bisschen erhöht, dahinter saß ein Mann, der einen dieser Pfarrer-Umhänge trug. Das war sicher der Richter. Den Umhang hatte er vorne gar nicht richtig zugemacht. So konnte man sehen, dass er darunter ein kariertes Hemd trug. Er hatte spärliche graue Haare, die ihm teilweise unordentlich vom Kopf abstanden, und eine silberne Lesebrille. Auf seinem Tisch lagen alle möglichen Papiere und er notierte gerade irgendetwas. Er sah gar nicht so schlimm aus. Eher wie ein verwirrter, etwas hektischer Opi als wie jemand, von dem mein Schicksal abhängen sollte, fand ich.
    An dem Tisch rechts des Richtertisches saß Papa, ihm gegenüber Frau Antunes vom Jugendamt. Und an dem Tisch gegenüber dem Richter saß meine Mutter. Sie machte keinerlei Anstalten, aufzustehen und hinauszugehen. Würde mein Wunsch, alleine befragt zu werden, also nicht respektiert werden? Ich merkte, wie die Wut langsam in mir aufstieg. Angeblich sollte ja alles »zum Wohle des Kindes« entschieden werden, aber wenn das Kind einmal sagte, was es wollte, wurde zuverlässig anders entschieden. Wozu fragte man mich denn dann überhaupt? Wollten die mich verarschen?
    Die Frau im Kostüm bedeutete mir, mich an den Tisch zu Papa zu setzen, und setzte sich dann selbst ganz außen an den Richtertisch. Sie schien eine Art Assistentin zu sein, auf jeden Fall begann sie sofort, irgendwas zu schreiben. Papa lächelte angestrengt und nahm meine Hand, als ich mich gesetzt hatte. Seine Hand war genauso verschwitzt wie meine. Ich sah, dass er die Zähne aufeinanderbiss.
    »Das kann doch nicht sein, dass meine Mutter jetzt da sitzt! Was soll das, Papa? Geht die noch raus?«, flüsterte ich ihm

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