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Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Titel: Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Kunze
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die Küche auf nach dem Mittagessen.
    »Janine, was ist mit dem Brief an deine Mutter? Ich fahre später noch an der Post vorbei, soll ich ihn mitnehmen? Dann kommt er noch pünktlich an«, sagte Mama.
    Ich spülte die Pfanne und den Topf, in dem Mama die Kartoffeln gekocht hatte. Mama wischte den Tisch ab.
    »Ich hab keinen Brief geschrieben«, antwortete ich.
    Mama seufzte und hörte auf zu wischen. Sie sah mich an.
    »Ach Nina. Treib es lieber nicht auf die Spitze, wir sollten froh sein, dass sie und das Jugendamt sich überhaupt darauf eingelassen haben.«
    »Aber mir fällt nichts ein! Ich hab ihr einfach nichts zu sagen.«
    »Und wenn du ein bisschen nachdenkst? Vielleicht erzählst du ihr, was du so machst? Was ihr im Jazzdance gerade einstudiert, wie es in der Schule läuft und so weiter.«
    »Das interessiert die doch sowieso nicht! Sie fragt nie, was ich so mache. Dafür ist die doch viel zu oberflächlich. Ich finde das einfach alles so bescheuert! Sie hat so wenig mit mir zu tun, kann aber über alles bestimmen. Warum kann ich denn nicht richtig zu euch gehören?«
    »Du gehörst doch richtig zu uns, das ist gar keine Frage!«
    »Aber nicht vor dem Gesetz. Sonst würden die vom Jugendamt doch nicht dauernd hier antanzen. Das tun die doch bei anderen Familien, wo es keine Pflegekinder gibt, auch nicht.« Ich ließ den Spülschwamm mit einem lauten Platsch ins Becken fallen.
    Mama nahm automatisch ein Geschirrtuch und wischte die Spritzer weg.
    »Ja, da hast du natürlich recht. Aber darüber haben wir doch schon oft gesprochen. Damit Papa und ich das volle Sorgerecht für dich haben, müssten wir dich adoptieren. Und dem würde deine Mutter nie zustimmen.«
    »Na und? Dann stimmt sie eben nicht zu. Es sieht doch ein Blinder mit Krückstock, dass ihr meine Eltern seid!« Ich verschränkte die Arme vor der Brust.
    »Wenn sie nicht zustimmt, wird es einen hässlichen Streit geben. Und wenn wir den nicht gewinnen, wird es für dich noch schlimmer werden.«
    Mama ging zur Arbeitsplatte und zog eine der Küchenschubladen heraus. Es war die Krimskrams-Schublade, in der Mama von Gummibändern über Bleistifte bis zu Aufklebern für Einmachgläser alles Mögliche aufbewahrte. Sie zog einen kleinen Stapel mit Glückwunschkarten heraus, blätterte sie durch und hielt mir zwei verschiedene hin.
    »Wenn das mit dem Brief nicht klappt, schreib ihr doch wenigstens eine Karte. Da musst du nicht ganz so viel draufschreiben, es ist aber trotzdem eine nette Geste.«
    Auf einer der beiden Karten, die Mama ausgesucht hatte, war ein bunter Blumenstrauß abgebildet. Aus dem goldenen Band, das den Strauß zusammenhielt, wurde ein schnörkeliger Schriftzug, der fünf Worte formte: Von Herzen die besten Wünsche . Die andere Karte sah moderner aus: Ein Mordillo-Männchen hielt eine Torte mit roten Kerzen, darüber stand Alles Gute zum Geburtstag .
    »Wenn du eine Karte schreibst, mache ich für dich den Abwasch fertig«, versuchte Mama mich herumzukriegen. Ich hasste Abspülen. Und sie wusste es.
    Mit einem Seufzen schnappte ich mir das Mordillo-Männchen und ging in mein Zimmer. An meinem Schreibtisch öffnete ich das durchsichtige Plastiktütchen, in dem Karte und Kuvert verpackt waren. Ich klappte die Karte auf und nahm einen Stift.
    Nach zehn Minuten hatte ich drei Blumen und zwei kunstvoll verzierte Kringel auf meine Schreibtischunterlage gemalt. In der Karte stand immer noch nichts. Ich hatte ihr wirklich nichts zu sagen. Ich brauchte sie einfach nicht. Dieses ganze komische Leben, das sie führte, mit ihrem Tänzerinnen- oder Kellnerinnen-Job oder was auch immer, diesem blöden Helmut und ihrem dauernden oberflächlichen Getue. Selbst wenn ich bei ihr war, fühlte ich mich in ihrem Leben überflüssig. Nur ein einziges Mal hatte sie sich ernsthaft für meine Schule interessiert. Das war letztes Jahr gewesen, als ich ihr gesagt hatte, dass ich auf die Realschule wechselte. Sie war nur entsetzt gewesen, weil sie jetzt nicht mehr mit ihrer Tochter, die mal Ärztin werden würde, angeben konnte. Aber nach zwanzig Minuten hatte sie selbst an dieser Diskussion das Interesse verloren. Es war ihr eben doch nicht wirklich wichtig.
    Nie ging es bei ihr um irgendetwas, das wirklich wichtig war. In der Kirchengemeinde überlegten wir uns Aktionen, wie wir Geld sammeln konnten für Menschen in der Dritten Welt. Kerstin war bei Greenpeace, Mama kümmerte sich um die alten Gemeindemitglieder und war zusammen mit Papa in der

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