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Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)

Titel: Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Kunze
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ich mich immer an ihre Schulter gekuschelt, wenn sie mir das erzählt hatte. Jetzt kam mir das komisch vor.
    »Na gut. Frau Antunes hat uns angerufen und gefragt, ob wir wieder ein Pflegekind aufnehmen würden. Du weißt ja, dass wir vor dir schon mehrere Pflegekinder für kürzere Zeit hatten.«
    »Ja, das hast du mir erzählt.«
    »Diesmal wäre es für länger, hatte sie gesagt. Die Zeit wäre unbestimmt, aber die Mutter würde das Kind auf keinen Fall zur Adoption freigeben wollen. Du warst bei Bekannten deiner Mutter, als wir dich zum ersten Mal gesehen haben. Du warst gerade ein paar Tage alt.« Mama lächelte. »Ich hatte sofort den Eindruck, dass du bei der Familie nicht am richtigen Platz warst, und hätte dich am liebsten sofort mitgenommen. So schnell ging es dann natürlich nicht. Oma Anna, Papa und ich saßen abends hier zusammen und haben nachgedacht. Ich wollte dich unbedingt zu uns nehmen. Aber Oma Anna war dagegen. Sie sagte: ›Mach das nicht! Wenn du ein Kind für ein paar Wochen hast, ist das ja schon schlimm genug für alle, da können wir deinen Wunsch zu helfen ja noch verstehen. Aber ein Kind auf unbestimmte Zeit zu nehmen, und die kommen nach einem Jahr oder zwei und sagen: Jetzt ist es vorbei. Das ist so eine Belastung, das solltest du euch allen ersparen.‹ Nicht nur meine Mutter, deine Oma Anna, sondern auch andere haben das gesagt. Und sie hatten recht, sich Sorgen zu machen. Denn es war ein großes Wagnis. Aber Papa und ich wollten dich trotzdem zu uns nehmen.«
    Mama drückte mich und wir sagten eine Weile gar nichts.
    »Wie war meine Mutter damals?«
    »Eine schöne Frau, wie heute«, sagte Mama.
    »Ja, aber was hat sie gesagt, als ihr mich abgeholt habt? Hat sie geweint?«
    Mama schaute mich ein bisschen traurig an. »Nein, geweint hat sie nicht. Aber ich hatte trotzdem nicht das Gefühl, dass es ihr leichtfiel, dich wegzugeben. Sie hat gesagt …« Mama zögerte.
    »Was hat sie gesagt?«
    Sie überlegte.
    »Mama, bitte sag es mir. Findest du nicht, ich sollte langsam die ganze Geschichte kennen?«
    Sie nickte und seufzte. »Ja, vielleicht ist es wirklich an der Zeit, dass ich dir das erzähle.« Sie machte eine Pause. Es schien ihr richtig schwerzufallen, weiterzusprechen.
    »Sie sah mir direkt in die Augen und war sehr ernst, dann sagte sie: ›Denken Sie daran, Sie bekommen das Kind nur auf Zeit. Ich hol es in spätestens drei Jahren wieder ab.‹«
    Plötzlich verstand ich. »Hast du deshalb immer so Angst, dass sie mich euch wegnimmt?«
    Mama presste die Lippen aufeinander und nickte.
    »Ich bin so froh, dass sie mich nicht wieder abgeholt hat«, flüsterte ich.
    Mama nickte.
    Eine Weile sagten wir gar nichts. Ich dachte nach, über das, was sie mir erzählt hatte.
    »Es hätte nichts genützt, wenn ich vor Gericht mehr gesagt hätte, oder?«
    »Nein, es hätte nichts genützt. Deine Mutter wird dich nie freigeben. Wir dürfen jetzt nichts mehr falsch machen, hörst du?«
    Ich seufzte. Dass es für sie immer darauf hinauslief, nervte. Aber ich sagte nichts.
    Am nächsten Tag auf dem Weg zur Schule entschloss ich mich, die dämlichen Fotos aus dem Modekatalog wegzuschmeißen. Sollten die in der Schule doch denken, was sie wollten! Ob sie nun Fotos sahen oder nicht – sie würden das alles sowieso nie verstehen. Und deshalb immer seltsam finden. Ich verstand es ja selbst schon kaum.
    Caro sagte, ich wäre eine Lügnerin und meine Mutter wär’ gar kein Model. Ich zuckte bloß die Schultern und antwortete, es wäre mir egal, was sie glaubte oder nicht glaubte, ich wäre ihr keine Rechenschaft schuldig. Dass ich mich nicht provozieren ließ, überzeugte sie anscheinend. Nach der Pause brachte sie mir eine Milchschnitte mit, auf der ein Zettel klebte. Sorry, dass ich dich so genervt hab. Caro , stand darauf. Damit war die Sache zum Glück endgültig erledigt.

Gerede
    Kinder müssen mit Erwachsenen sehr viel Nachsicht haben.
    ANTOINE DE SAINT-EXUPÉRY
    Am Nachmittag hatte ich Probe von meinem Flötenchor in der Kirchengemeinde. Mama hatte auch einen Termin im Gemeindehaus, sie hatte sich mit ein paar anderen Frauen verabredet, um Sachen zu sortieren, die für die große Wohltätigkeitstombola abgegeben worden waren. Der Erlös sollte einem Hilfsprojekt unserer Gemeinde in Eritrea zugutekommen. Wir fuhren zusammen mit dem Fahrrad hin.
    »Kannst du uns nach der Chorprobe noch helfen? Ulrike hat gesagt, dass furchtbar viele Sachen abgegeben worden sind. Wir müssen überlegen, was

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