Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
unterwegs war und deshalb keine Zeit für mich hatte. So war es ja auch gewesen, deshalb hatte sie mich ja auch weggegeben, als ich ein kleines Baby war. Oder? Mir fiel auf, dass ich eigentlich gar keine Ahnung hatte, wieso sie mich weggegeben hatte. Früher hieß es auch mal, sie würde als Kellnerin arbeiten und die Arbeitszeiten wären blöd für ein Kind. Caro sah mich ungeduldig an.
»Ja, sie modelt für verschiedene Modekataloge, da gibt es dann natürlich auch Fotoshootings«, sagte ich und hoffte, sie wäre damit zufrieden und wir könnten endlich das Thema wechseln.
»Das ist ja total cool! Siehst du ihr ähnlich?«
»Ja, ziemlich.«
»Und, willst du auch mal Model werden? Oder Tänzerin?«
»Vielleicht«, antwortete ich ausweichend. Ich durfte gar nicht daran denken, was Mama zu so einem Berufswunsch sagen würde.
»Ich weiß noch gar nicht, was ich mal machen soll. Irgendwie finde ich alle Berufe langweilig.« Caro war anscheinend vom Thema abgekommen. Gott sei Dank!
»Mhm, geht mir auch so.«
Doch ich hatte mich zu früh gefreut. Nach einer kurzen Pause sagte Caro:
»Hey, bring doch mal ein Foto von deiner Mutter mit! Ich würd echt gerne mal ein echtes Model sehen, und ob du so aussiehst wie sie!«
»Ja, klar, mach ich!«, sagte ich und hoffte, dass Caro das bald wieder vergessen würde.
Leider wurde diese Hoffnung nicht erfüllt. Am nächsten Tag fragte Caro, ob ich an die Fotos gedacht hätte. Ich sagte, ich hätte sie vergessen. Am übernächsten Tag fing sie wieder damit an. Die Sache schien sie wirklich zu beschäftigen, sie ließ einfach nicht locker. Zwei Tage später sagte sie:
»Du hast doch bloß Mist erzählt, deine Mutter ist überhaupt kein Model! Hab ich mir gleich gedacht. Niemand hat eine Mutter, die Model und Tänzerin ist!«
»Doch, ist sie schon, aber ich hab die Fotos von ihr nicht gefunden!«, verteidigte ich mich.
»Das glaubst du doch selber nicht! Wenn meine Mutter Model wäre, würden überall in meinem Zimmer Fotos von ihr hängen!«
Ja, aber nur wenn sie dir nicht gerade die Adoption vermasselt hätte und ihr dein Glück nicht scheißegal wäre, dachte ich, sagte aber lieber nichts. Caro musste ja nicht alles wissen.
Ich versuchte, in der Schule so wenig wie möglich über die Pflegekind-Sache zu sprechen. Trotzdem hatten natürlich alle etwas von der Adoptionssache mitbekommen. Das konnte ich schon wegen der Gesprächsstunden direkt nach der Schule nicht vermeiden.
Im Laufe der Jahre hatte ich nie gute Erfahrungen damit gemacht, dass die Leute über die Pflegekind-Sache Bescheid wussten. Für Außenstehende war das immer etwas komisch. Die wenigsten wussten überhaupt, was ein Pflegekind ist. Adoptiert sein, ja, aber ein Pflegekind? Und niemand konnte sich vorstellen, was es bedeutete, eines zu sein. Entweder man bemitleidete mich oder sie sahen mich an wie einen Freak. Beides fand ich nicht besonders angenehm. Es war wie ein Makel, den ich von Anfang an gehabt hatte und der mich von allen anderen unterschied.
Nach wie vor kannte ich kein einziges anderes Pflegekind. Hatten sie die gleichen Probleme wie ich? Oder war ihr Leben ganz anders als meins? Heute Abend gingen Mama und Papa wieder zu so einem Treffen mit anderen Pflegeeltern. Das war für sie eher ein Hilfsprojekt, um den anderen zu raten und bei Problemen zu helfen, hatte Mama mir erklärt. Ich war noch nie auf die Idee gekommen, sie mal nach den anderen Pflegekindern zu fragen, mit deren Eltern sie sich da immer traf. Heute Abend würde ich das machen, nahm ich mir vor. Aber erst mal musste ich das Problem mit den Fotos irgendwie lösen.
Nach dem Abendessen saß ich auf dem Boden in meinem Zimmer und blätterte alle Modekataloge durch, die ich im Hause gefunden hatte. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, in welchem Katalog mir Helmut damals die Bilder meiner Mutter gezeigt hatte. Aber irgendwo musste doch ein Foto von ihr zu finden sein! Als Model war man doch schließlich in vielen verschiedenen Katalogen, oder? Jetzt tat es mir leid, dass ich die Bilder von meiner Mutter zerschnitten und weggeworfen hatte. Ich hätte mir wenigstens eins in Reserve behalten sollen. Das hätte ich jetzt gut gebrauchen können, damit Caro endlich Ruhe gab. Dass ich mit meiner leiblichen Mutter nichts mehr zu tun hatte, wollte ich Caro nicht unbedingt auf die Nase binden. Wir waren zwar befreundet, aber ich wusste, dass sie eine der größten Tratschtanten der Schule war. Ihr konnte ich nicht so vertrauen wie Silvia.
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