Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
Die in der Schule mussten ja nicht unbedingt von dem ganzen Generve mit meiner Mutter wissen. Das würden die sicher bloß wieder komisch finden.
Auch in dem dritten und letzten Katalog war nichts. Ein paar Mal hatte ich gedacht, ich hätte sie gefunden. Aber als ich dann genauer hinsah, war sie es doch nicht. Mist. Oder sollte ich Caro einfach sagen, dass ich kein Foto mehr von meiner Mutter hatte, weil ich nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte? Nein, das war nicht so gut, sie würde das überhaupt nicht verstehen. Plötzlich kam mir eine Idee: Caro hatte meine Mutter noch nie gesehen. Wenn ich nun einfach eines der Fotos nahm, die ihr ähnlich sahen? Dann hätte Caro, was sie wollte, die ganze Sache wäre sicher schnell vergessen und ich hätte wieder meine Ruhe. Ich überlegte. Lügen wollte ich eigentlich nicht, aber das war ja eine Notlüge, oder? Ich nahm den ersten Katalog und blätterte zu den Jeans. Da war ein Foto von dieser Frau, die meiner Mutter wirklich ähnlich sah. Ich nahm die Schere und schnitt es sorgfältig aus. Ein paar Seiten später kam das gleiche Model noch einmal mit anderen Klamotten, ich schnitt das zweite Foto auch noch aus.
Als ich die beiden Fotos in meinen Schulranzen packte, hörte ich im Flur ein Geräusch. Das mussten meine Eltern sein, die von dem Pflegeeltern-Treffen zurückkamen. Kurz darauf hörte ich Mama auch schon die Treppe hochkommen. Ich erkannte alle Familienmitglieder an der Art, wie sie die Treppe raufgingen. Stefan rannte immer. Papa ging schnell und leichtfüßig. Bei Mama merkte man, dass sie ein bisschen dicker war und es sie anstrengte. Jetzt hörte ich ihre gleichmäßigen Schritte.
Papa war sicher noch unten geblieben und sah sich etwas im Fernsehen an, ihn hörte ich nicht. Wenn Mama bei mir Licht sah, kam sie normalerweise noch mal kurz rein. Heute ging sie an meiner Zimmertür vorbei. Komisch. Ich schaute auf die Uhr. Es war gerade mal neun. Das war selbst für Mama ganz schön früh, um ins Bett zu gehen. Ich beschloss nachzusehen, was los war.
Als ich leise die Tür des Schlafzimmers öffnete, erschrak ich. Mama war noch komplett angezogen, saß auf dem Bett und weinte.
»Mama, warum weinst du denn?«, fragte ich und setzte mich neben sie. Früher hätte ich den Arm um sie gelegt, wie sie das so oft bei mir gemacht hatte. Jetzt blieb ich einfach neben ihr sitzen.
»Ach, Janine, ist schon gut. Ich bin nur ein bisschen traurig.«
»Hat es was mit mir zu tun?« Der ganze Terror wegen der Adoption hatte Mama auch ganz schön zugesetzt, das war mir klar.
»Diesmal nicht, diesmal nicht«, sagte sie.
»Was ist denn dann los?«
Mama antwortete nicht sofort, dann sagte sie: »Ich bin nur traurig, weil es so viele Kinder gibt, denen es schlecht geht und denen ich nicht helfen kann.« Sie hatte aufgehört zu weinen.
Da fiel mir wieder ein, dass sie ja bei dem Pflegeeltern-Treffen gewesen war und dass ich sie eigentlich nach den anderen Pflegekindern fragen wollte.
»Meinst du die anderen Pflegekinder?«
»Ja, einige von ihnen«, sagte sie ausweichend.
»Warum geht es denen denn schlecht? Erzähl doch mal! Geht es denen schlechter als mir?«
Mama lachte kurz auf. Es klang bitter. »Oh Janine, wenn du wüsstest!«
»Wie ist das bei den anderen Pflegekindern? Haben die auch eine ganz normale Familie, so wie ich euch habe? Oder sind die total arm?«, fragte ich.
Mama sah mich an und sagte: »Na gut, wenn du es unbedingt wissen willst: Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt viele, denen es schlechter geht als dir. Die wohnen nur zeitweise bei ihren Pflegefamilien und zeitweise im Heim.«
»Warum wohnen die denn zeitweise im Heim?« Ich war geschockt. Und fühlte plötzlich wieder diese Wut auf meine leibliche Mutter. Und alle anderen Eltern, die ihre Kinder nicht haben wollten.
»Ach, Janine, das ist doch jetzt nicht wichtig! Vergiss das doch einfach.«
»Nein, jetzt sag doch. Ich bin doch kein kleines Kind mehr, du kannst mir so was schon erzählen. Ich muss das wissen. Warum wohnen andere Pflegekinder manchmal im Heim?«
Mama seufzte.
»Also gut, aber versprich mir, dass du dir deshalb keine Sorgen machst. Das hat wirklich nichts mit dir zu tun und wird dir niemals in deinem Leben passieren, ja?« Sie sah mir fest in die Augen.
»Versprochen«, sagte ich und nickte.
»Also gut. Manche Pflegeeltern sind komische Leute. Sie nehmen das Kind vor allem wegen des Geldes, das ihnen das Jugendamt für die Verpflegung des Kindes bezahlt. Einige geben ihr
Weitere Kostenlose Bücher