Geschenkte Wurzeln: Warum ich mit meiner wahren Familie nicht verwandt bin (German Edition)
wir als Sachspenden nach Eritrea schicken und was wir für die Tombola nehmen. Außer mir ist nur noch Ulrike mit dabei und Frau Schäfer. Das wird ganz schön viel Arbeit!«
»Aber später bin ich doch noch beim Tanzen, Mama!«
»Das Tanztraining beginnt um 17.00Uhr. Und die Chorprobe hört um 15.00Uhr auf. Da kannst du doch noch ein halbes Stündchen mithelfen, oder?«
Manchmal war Mama echt gnadenlos. Je mehr ich meine Freizeit selbst gestaltete, umso stärker kontrollierte sie mich. Gelegentlich hatte ich das Gefühl, dass ihr jede Stunde, in der sie nicht genau wusste, mit was ich beschäftigt war, gegen den Strich ging. Als müsste ich immer unter Beobachtung stehen!
Und natürlich wusste sie, dass ich auf nichts, wirklich gar nichts so wenig Lust hatte, wie alte Klamotten und Kaffeemaschinen für diese blöde Tombola zu sortieren. Die Leute gaben da ihren Mist ab und viele Sachen musste man dann doch zur Müllkippe fahren, weil sie weder für die Tombola noch für die Leute in Eritrea geeignet waren. Warum konnte man die Menschen nicht einfach gleich um Geld bitten? Dann hätte ich heute auf jeden Fall ein paar Stunden Freizeit.
Weil ich wusste, dass Widerstand bei solchen Dingen bei Mama immer zwecklos war und ich meine einzige Ausrede, das Tanztraining, schon verbraten hatte, sagte ich: »Okay. Ich schau nach dem Flötenchor vorbei.«
Um kurz nach drei ging ich möglichst langsam die Treppe runter. Nach der Probe hatte ich noch ein bisschen mit Katja gequatscht. Wir waren schon lange zusammen im Flötenchor und unsere Eltern waren über die Gemeinde miteinander befreundet. Aber Katja hatte es eilig, sie schrieb morgen eine Klassenarbeit und musste noch lernen. Also blieb mir nichts anderes übrig, als langsam die Treppe ins Erdgeschoss des Gemeindehauses runterzugehen. Der Proberaum für die verschiedenen Musikgruppen war im ersten Stock, unten war ein größerer Saal, wo genügend Platz war, um jede Menge Krempel auszubreiten. Dort waren Mama und die anderen Frauen und sortierten den alten Kram für die Tombola. Ihre Stimmen drangen durch die offene Saaltür ins Treppenhaus. Sonst war das Gemeindehaus heute Nachmittag leer.
Damit der kurze Weg durchs Treppenhaus möglichst lange dauerte, ging ich immer drei Stufen nach unten und dann wieder eine rückwärts nach oben. Dazu summte ich das Intro von Lullaby von The Cure . Ich mochte das Lied eigentlich gar nicht. Vielleicht lag das auch an dem Video, das ich letzte Woche zum ersten Mal bei Formel Eins gesehen hatte. Das war echt gruselig. Wir probten im Jazzballett gerade eine neue Choreografie zu dem Lied. Deshalb ging es mir dauernd durch den Kopf, vor allem der Anfang, den wir letzte Woche immer und immer wieder proben mussten, weil es einige von uns einfach nicht hinbekamen, auf die Zwei und nicht auf die Eins loszulegen.
Noch fünf Stufen, dann wäre ich unten angekommen und musste in dem alten Kram rumwühlen.
»Ich hoffe mal, es ist kein Fehler, sie jetzt bis zehn abends wegzulassen. Ich bin mir immer so unsicher, was ich ihr erlauben soll und wo ich hart bleiben muss! Sie ist so anders, als Anne und Kerstin in dem Alter damals waren.«
Das war die Stimme meiner Mutter. Ich horchte auf und blieb stehen. Worüber redete sie? Ging es da etwa um mich?
»Ach Karin, zehn Uhr ist für die Kinder heute doch keine Zeit. Viele dürfen sogar länger weg. Du musst einfach wissen, ob du ihr vertrauen kannst.«
»Ja, das ist es ja gerade, Ulrike. Da bin ich mir manchmal nicht so sicher. Sie hat so einen Hang zu auffälliger Kleidung, Schminke und so einen Freiheitsdrang! Und wie sie aussieht, kleben die Jungs ja sicher nur so an ihr. Wenn ich es ihr erlauben würde, würde sie wahrscheinlich bis morgens durch die Gegend tanzen.«
»Ich will mich da nicht einmischen, Frau Kunze. Aber meine Susanne ist ja gerade mal zwei Jahre älter als die Janine. Und die fängt jetzt erst an, sich zu schminken, mit siebzehn. Ich kann Ihnen nur raten: Halten Sie die Janine besser kurz. Sicher ist sicher, gerade bei der Janine. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm«, hörte ich plötzlich eine dritte Stimme sagen. Sie musste Frau Schäfer gehören.
Die kannte ich kaum, aber sie war mir schon immer ein bisschen unsympathisch gewesen. Sie hatte eine Tochter, die zwei Jahre älter war als ich. Sie ging auf meine alte Schule, daher und aus der Kirche kannte ich sie vom Sehen. Ich hätte wetten können, dass die sich mit fünfzehn auch schon geschminkt hatte!
»Es ist ja
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