Geschichte der deutschen Sprache
in einer Zunahme an Bedeutungen bestehen, bei der die Gesamtbedeutung einzelner Wörter um eine oder mehrere Einzelbedeutungentungen ergänzt wird. So bezeichnet beispielsweise das Wort
Wurzel
(althochdeutsch
wurzala
) ursprünglich den gewundenen, verästelten Teil von Pflanzen, der in der Erde steckt und zu deren Halt und Ernährung dient. Im Laufe der Zeit ist dann aufgrund von sachlichen Ähnlichkeiten in unterschiedlichen Fachbereichen eine ganze Reihe an weiteren Bedeutungen hinzugekommen, darunter diejenigen aus der Zahnmedizin, der Mathematik oder der Sprachwissenschaft. – Neben einer solchen Zunahme an Bedeutungen ist jedoch bisweilen auch eine Abnahme an Bedeutungen zu beobachten. So trägt zum Beispiel das Wort
Elend
noch im frühen Neuhochdeutschen mindestens zwei Bedeutungen: zum einen ‹Fremde, Ferne› und zum anderen ‹Entbehrung, Not›. Im jüngeren Deutschen ist von diesen beiden nur die zweite Bedeutung erhalten geblieben, während die erste seit mindestens zwei Jahrhunderten nicht mehr zu belegen ist.
Das Beispiel
Wurzel
deutet bereits an, dass viele neue Bedeutungen durch einen uneigentlichen Sprachgebrauch der betreffenden Wörter (in der Rhetorik «Tropen» genannt) bedingt sind. Zu den Formen solch uneigentlichen Sprachgebrauchs gehört unter anderem die Metapher , bei der ein Wort unter einer ähnlichen Bedeutung bildhaft verwendet wird und die ursprüngliche Bedeutung dann mehr oder weniger in den Hintergrund rückt. Dies kann am Beispiel von
Kopf
sehr schön gezeigt werden.
Kopf
bedeutet ursprünglich ‹Becher› (vgl. noch heute
cup
im Englischen) und wurde in mittelhochdeutscher Zeit sehr oft metaphorisch unter der Bedeutung ‹Hirnschale› gebraucht, was letztlich eine Verschiebung zu der im Neuhochdeutschen gebräuchlichen Bedeutung mit sich gebracht hat. Von dieser Bedeutung ausgehend sind dann im Laufe der Zeit weitere metaphorische Bedeutungen entstanden, wie im Falle von
Noten-
,
Brücken-
oder
Briefkopf
. Im Zuge dieser Entwicklung hat die neuhochdeutsche Verwendung von
Kopf
das germanische Erbwort
Haupt
verdrängt und seinerseits zahlreiche neue Metaphern evoziert (so etwa
Birne
oder
Rübe
). Viele metaphorische Bedeutungen stammen übrigens aus der Tierwelt und werden auf den menschlichen oder technischen Bereich übertragen: Sozum Beispiel
hamstern
‹Vorräte sammeln› (wie ein Hamster),
Kran
‹Trageapparatur› (mit schmalem Hals wie ein Kranich) oder
Hahn
‹Wasseraustritt› (in der Form eines Vogelkopfes). Diese Beispiele zeigen auch, dass manche Ähnlichkeiten mittlerweile gar nicht mehr erkennbar sind. Besonders deutlich ist dies vielleicht in den folgenden Fällen:
erfahren
(ursprünglich ‹reisend erkunden›),
überspannt
(ursprünglich ‹zu stark gespannt›),
merkwürdig
(ursprünglich ‹wert zu erinnern›). – Neben der Metapher ist es oft auch die Metonymie , die zu einer Zunahme an einzelnen Bedeutungen führt. Hierbei werden Wörter zur Bezeichnung von etwas verwendet, das der ursprünglichen Bedeutung nicht ähnlich ist, sondern vielmehr in einem tatsächlichen Zusammenhang damit steht. So werden etwa
Kirche
oder
Schule
nicht nur für die entsprechenden Gebäude, sondern auch für die darin lebenden und arbeitenden Personen verwendet. Andere Bezeichnungen leiten sich von den Namen der Personen oder Orte ab, auf die sie ursprünglich zurückgehen; hierzu zählen beispielsweise
Kaiser
nach dem römischen Herrscher Julius Caesar,
röntgen
nach dem Physiker Wilhelm Conrad Röntgen,
Damast
als Stoff aus Damaskus oder
Pfirsich
als Apfel aus Persien.
Neben der Zunahme an Bedeutungen eines Wortes ist es auch möglich, dass sich einzelne Bedeutungen selbst verändern. Besonders deutlich wird dies, wenn sich Bedeutungen entweder erweitern oder verengen. Eine Bedeutungserweiterung liegt vor, wenn eine verhältnismäßig enge Bedeutung eines Wortes allgemeiner wird. So ist aus der ursprünglich engeren Bedeutung des Wortes
Sache
‹Gegenstand eines Rechtsstreits› heute die weitere Bedeutung ‹Gegenstand (überhaupt)› entstanden. Solche Erweiterungen einzelner Bedeutungen sind bei verhältnismäßig häufig verwendeten Wörtern oftmals mit einer Abschwächung verbunden: Bekanntestes Beispiel ist hier sicher das Wort
sehr
, das heute eine vage Betonung beinhaltet und somit ziemlich verblasst erscheint, jedoch ursprünglich unter der ganz konkreten Bedeutung ‹schmerzlich› verwendet wurde (wie etwa noch heute an Wörtern
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