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Geschichte der deutschen Sprache

Geschichte der deutschen Sprache

Titel: Geschichte der deutschen Sprache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Roelcke
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nicht geschrieben). Aus diesem Grund werden im Folgenden zunächst einige Entwicklungsmöglichkeiten im deutschen Wortschatz aufgezeigt und im Anschluss hieran anhand einiger Beispiele etwas näher erläutert.
    Der Wortschatz einer Sprache kann sich zunächst einmal grundsätzlich dadurch ändern, dass neue Wörter eingeführt oder vorhandene Wörter nicht mehr gebraucht werden. Bei der Einführung von neuen Ausdrücken gibt es wiederum zwei Verfahren: Wortentlehnung und Wortbildung – entweder werden Wörter aus anderen Sprachen in den eigenen Wortschatz übernommen oder sie werden aus bereits vorhandenen Wörtern oder Wortbestandteilen neu zusammengesetzt. Auf die Entlehnung von Wörtern aus anderen Sprachen wird im Folgenden noch näher eingegangen. Die Bildung von neuen Wörtern geschieht nach Verfahren, wie sie oben bereits erläutert wurden: Hierbei kommt es zu Ableitungen (Derivata) wie
fliehen
,
Flucht
und
flüchtig
, Zusammensetzungen (Komposita) wie
Hochsitz
,
Sitzplatz
oder
Sitzkissen
, sowie Kurzwörtern wie
Bus
,
Uni
oder
ADAC
. Echte Neuschöpfungen, bei denen entsprechende Laute nachgeahmt werden (sog. Onomatopoetika), sind vergleichsweise selten (vgl. neben
Kuckuck
etwa
quieken
,
schnarchen
oder
gackern
).
    Die Gründe für solche Wortschatzerweiterungen sind so vielfältig wie die gesellschaftliche und kulturelle Entwicklung einer Sprachgemeinschaft selbst: Jede Neuerung bzw. Erweiterung bedarf neuer Wörter und Begriffe, mit denen hierauf Bezug genommen wird. Besonders deutlich zeigt sich dies, wenn bestimmte Begriffe oder Sachverhalte aufgewertet oder gesteigert werden sollen. So dienen Euphemismen dazu, etwas zu beschönigen und nicht direkt auszusprechen. Dies gilt etwa für den Teufel, wenn man jemanden
zum Kuckuck
wünscht und dabei den Satan selbst nicht erwähnen möchte. Solche tabuisierenden Umschreibungen sind insbesondere auch im 19. Jahrhundert sehr beliebt: Man denke an so bekannte Beispiele wie
Toilette
oder
Abort
(im Sinne von ‹abgelegener Ort›),
entwenden
für
stehlen
,
in anderen Umständen
für
schwanger
oder (etwas jünger)
vollschlank
für
dick
. Steigernde Ausdrücke haben in der Sprache eigentlich immer Konjunktur und unterliegen laufend Neuerungen, da sie sich recht schnell abnutzen: Solche Hyperbeln sind zum Beispiel in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
phantastisch
,
kolossal
oder
schrecklich
, die in derzweiten Hälfte vor allem von jüngeren Leuten gerne durch
super
,
toll
oder
prima
ersetzt werden; das bekannte Adjektiv
geil
ist in diesem Zusammenhang besonders interessant, da es erst seit neuhochdeutscher Zeit auf einen körperlich-sexuellen Kontext beschränkt ist und im mittelalterlichen Deutschen (ähnlich wie im gegenwärtigen Sprachgebrauch jüngerer Leute) eine wesentlich weiter zu fassende Bedeutung zeigt. – Besonders bekannt für einen hyperbolischen Gebrauch von Sprache ist heute neben der Politik vor allem die Werbebranche: Manche Produkte sind
absolut einwandfrei
oder
ohnegleichen
und werden durch ihren
Bombenerfolg
bei den Verbrauchern zu einem
Kassenschlager
für die Unternehmen. Absurditäten wie die
optimalste Lösung
(geht es denn optimaler als optimal?) oder das
weißeste Weiß
(wonach weiß offensichtlich auch immer ein wenig schwarz ist…) sind hier durchaus an der Tagesordnung.
    Solche Beispiele für die Erweiterung des Wortschatzes dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche Sprachgeschichte auch einen Wegfall von Wörtern kennt. Dies lässt sich an dem folgenden kleinen Beispiel zeigen: Das mittelhochdeutsche Wort
lützel
(althochdeutsch
luttil
) mit der Bedeutung ‹klein› ist seit dem 16. Jahrhundert aus der hochdeutschen Schriftsprache verschwunden und findet sich heute nur noch in Dialekten (etwa niederdeutsch
lütt
) oder in älteren Ortsnamen wie etwa
Lützelsachsen
. Das neuhochdeutsche Wort
klein
ist demgegenüber etymologisch verwandt mit dem englischen Wort
clean
in der Bedeutung ‹sauber› und trug ursprünglich die Bedeutung ‹glatt, glänzend›, später dann auch ‹rein, gering, zart›. Erst im Zusammenhang mit dem Verschwinden von
lützel
hat
klein
die Bedeutung angenommen, die heute allgemein bekannt ist.
    Das letzte Beispiel zeigt bereits, dass die Geschichte des Wortschatzes nicht allein in der Bildung und Entlehnung von neuen Ausdrücken oder Bezeichnungen besteht, sondern auch Veränderungen in den Bedeutungen einzelner Wörter zeigt. Ein solcher Bedeutungswandel kann zunächst einmal

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