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Geschichte der deutschen Sprache

Geschichte der deutschen Sprache

Titel: Geschichte der deutschen Sprache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thorsten Roelcke
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Zeitgenossen in der Aufklärung und im vorangehenden Barock alles andere als untypisch: Umfangreiche Schachtelsätze bzw. komplexe hypotaktische Konstruktionen aus Haupt- und verschiedenen Arten von Nebensätzen können geradezu als ein wesentliches Merkmal barocken und aufgeklärten Sprachgebrauchs gelten. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht kann man dies vielleicht auf die zunehmende Verbreitung von deutschsprachigen Schriftstücken seit der Erfindung des Buchdrucks um die Mitte des 15. Jahrhunderts zurückführen, da komplizierte Satzkonstruktionen in schriftlichen Texten leichter nachzuvollziehen und zu verstehen sind als in der gesprochenen Sprache: So erstaunt es auch nicht, dass der Satzbau in mittelalterlichen Quellen (sofern es sich dabei nicht um Übersetzungen aus dem Lateinischen handelt) weitaus einfacherist, also eher kurze Sätze und nebenordnende, parataktische Konstruktionen zeigt. Erstaunlich ist vielmehr, dass diese Tendenz zur Verstärkung komplexer Hypotaxe seit der frühen Neuzeit dann im 18. Jahrhundert wieder durch eine gegenläufige Entwicklung zu kürzeren und einfachen Sätzen umgekehrt wird. Zwar sind lange und komplexe Konstruktionen noch bis in die Gegenwartssprache hinein zu finden, doch nimmt deren Zahl und Umfang stetig ab.
    Ein Grund hierfür könnte sein, dass gute Verständlichkeit und leichte Übersichtlichkeit auch in einer Vielzahl schriftlicher Texte als Vorteile aufgefasst werden. Ein weiterer Grund für die Verkürzung und Vereinfachung des neuhochdeutschen Satzbaus könnte aber auch in zwei weiteren syntaktischen Entwicklungen liegen, die auf die Komplexität einzelner Sätze zurückwirken. Dabei handelt es sich einerseits um den Ausbau von Funktionsverbgefügen und andererseits um die Tendenz zur Nominalisierung. Beide Erscheinungen lassen sich anhand eines einfachen Beispiels leicht erklären. Anstelle von
analysieren
heißt es in jüngeren Texten des Öfteren
eine Analyse durchführen
. Dabei wird die Gesamtbedeutung des Vollverbs
analysieren
auf verschiedene Träger von Teilbedeutungen verteilt: der Bedeutungskern auf das Substantiv
Analyse
(Nominalisierung) und die grammatische Information auf das Ersatz- bzw. Funktionsverb
durchführen
. Diese Herausbildung von Funktionsverbgefügen beginnt bereits im Frühneuhochdeutschen – also in der Zeit, als das Modalsystem der deutschen Verben zunehmend unter Druck gerät und analytische Umschreibungen durch Modalverben erforderlich macht. Sie hat heutzutage (trotz einer Vielzahl sprachkritischer Klagen) nichts oder nur wenig von ihrer Beliebtheit verloren.
    Entsprechend hierzu gilt dies auch für nominale Bedeutungsträger, die vor allem in Texten aus Wissenschaft, Technik und Verwaltung sehr zahlreich erscheinen. Diese Tendenz zur Nominalisierung mag unter anderem auch damit zusammenhängen, dass fachsprachliche Wortbedeutungen in den großen naturwissenschaftlichen Klassifikationen des 19. Jahrhunderts (zum Beispiel in der Biologie oder in der Chemie) oftmals aufSubstantive festgelegt werden und Verben in den entsprechenden Texten wiederum eine überwiegend grammatische Funktion zu erfüllen haben. Dies führt dann in der jüngeren Sprachgeschichte auch dazu, dass einzelne nominale Satzglieder immer stärker ausgebaut werden: So ist es heutzutage durchaus üblich, nicht von einer
Analyse, die leicht durchzuführen ist
, sondern von einer
leicht durchführbaren Analyse
zu sprechen. Dieses Beispiel zeigt nun, dass mit dem fachsprachlichen Nominalstil eine Abnahme der Komplexität von Satzgefügen verbunden ist (der Relativsatz wird hier durch ein adjektivisches Attribut ersetzt). Es greifen hier also wieder verschiedene Entwicklungen des deutschen Satzbaus ineinander, ohne dass letztlich zu klären ist, welche dieser einzelnen Entwicklungen die anderen bedingt oder gar bestimmt.
    Dies gilt nicht zuletzt auch für die Stärkung von Klammerkonstruktionen im Verlauf der deutschen Sprachgeschichte. Denn aus der vergleichsweise freien Wortstellung des Mittelalters haben sich weitere feste Konstruktionsweisen herausgebildet, die für das Deutsche mehr oder weniger charakteristisch sind. Dies gilt insbesondere auch für die sog. Verbklammer, bei der etwa ein Hilfs- oder Modalverb einerseits und ein Vollverb andererseits nicht beieinander, sondern getrennt voneinander stehen. So konnte etwa Hartmann von Aue im Gregorius noch mittelhochdeutsch dichten:
Mîn herze hat betwungen
/
dicke mîne zungen
. In der Gegenwartssprache

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