Geschichte der deutschen Sprache
wie
unversehrt
oder
Kriegsversehrter
nachvollziehbar ist). Aber auch der umgekehrte Fall, dass eine allgemeinere Bedeutungmit der Zeit enger wird, ist möglich. Eine solche Bedeutungsverengung zeigt beispielsweise das Wort
Hochzeit
, das als
hôchgezît
noch im Mittelhochdeutschen ein hohes kirchliches oder weltliches Fest bezeichnet und im Neuhochdeutschen dann auf die engere Bedeutung ‹Eheschließungsfeier› eingeschränkt wird.
Eine letzte, interessante Erscheinung im Rahmen des Wandels von Bedeutungen stellen schließlich Veränderungen der Wertung, die jeweils mit einer bestimmten Wortbedeutung verbunden wird, dar. So trägt das althochdeutsche Adjektiv
alawari
die neutrale Bedeutung ‹ganz wahr, freundlich›, während mittelhochdeutsch
alwære
bereits etwas negativ ‹allzu gütig, dumm› und neuhochdeutsch
albern
dann sehr negativ ‹töricht, einfältig› meint. Neben solch Bedeutungsverschlechterungen gibt es jedoch auch Bedeutungsverbesserungen . So verschiebt sich die Bedeutung ‹Pferdeknecht› des althochdeutschen Worts
marahscalc
schrittweise über ‹Stallmeister›, ‹Hofbeamter› und ‹Offizier der Reiterei› letztlich bis hin zur Bezeichnung des höchsten militärischen Rangs, des
Marschalls
.
4.2 Wort- und Gesellschaftsgeschichte
Die eben genannten Entwicklungen spielen sich in der sprachlichen Wirklichkeit nicht einzeln und voneinander getrennt ab, im Gegenteil: Jede Veränderung im Wortschatz ist in der Regel in eine ganze Reihe weiterer Veränderungen eingebettet, geht auf solche zurück oder begründet weitere. Dies lässt sich hier nur anhand von einigen kleineren Ausschnitten aus der Entwicklung des deutschen Wortschatzes und einzelner Bedeutungen in Religion, Kultur und Politik zeigen.
Von besonderer Bedeutung für die Sprachgeschichte des Deutschen ist sicherlich die Entwicklung des religiösen Wortschatzes . Einige Etappen hieraus: Bereits in frühmittelalterlicher Zeit werden heidnische Bedeutungen in christliche umgedeutet. So stellt
Gott
(meist im Plural verwendet) vormals einen Sammelbegriff für männliche und weibliche Gottheiten germanischen Ursprungs dar und wird erst mit der Christianisierung zur Bezeichnungdes einen Gottes (und damit im Singular) eingesetzt. In Entsprechung hierzu leitet sich die
Hölle
im christlichen Verständnis aus dem germanischen Totenreich, das nach der Göttin
Hel
benannt wird, ab. Und das Wort
Buße
schließlich, das ursprünglich die Bedeutungen ‹Vorteil, Nutzen› sowie ‹Heilung (durch Zauber)› trägt, übernimmt in der Kirchensprache des frühen Mittelalters die Bedeutung ‹Genugtuung des Sünders vor Gott›, die letztlich von den lateinischen Ausdrücken
poentitentia
bzw.
satisfactio
herstammt. Andere Wörter religiösen Ursprungs kommen im Althochdeutschen dagegen ganz außer Gebrauch, da sie eng im Zusammenhang mit der heidnischen Religion stehen und christlichen Einflüssen weichen müssen; ein Beispiel hierfür ist der Ausdruck
galan
‹singen (von Zauberformeln)›, der heute etwa noch in
Nachtigall
enthalten ist. Im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit zeigt der religiöse Wortschatz dann einige weitere wichtige Entwicklungen. So wird zunächst im 13. und 14. Jahrhundert der abstrakte Wortschatz des Deutschen vor allem durch die Mystiker (wie Hildegard von Bingen oder Meister Eckhart) weiterentwickelt, indem diese versuchen, religiöse Erfahrung sprachlich zu vermitteln. Dabei werden viele Wörter metaphorisch verwendet oder mit abstrakten Suffixen wie -
heit
, -
keit
oder -
ung
gebraucht:
Einfall
,
Eindruck
,
einleuchten
und
einsehen
bzw.
Hoheit
,
Heimlichkeit
und
Berührung
sind nur wenige Beispiele, die auch heute noch verwendet werden. Und genau dieser Wortschatz ist es dann auch, der im 16. Jahrhundert Martin Luther zu zahlreichen Neubildungen wie zum Beispiel
Feuereifer
,
friedfertig
,
lichterloh
,
kleingläubig
oder
Sündenangst
inspiriert hat. Auch wenn man angesichts jüngerer Forschungsergebnisse den Reformator sicher nicht mehr als den Begründer der neuhochdeutschen Schriftsprache ansehen kann, so darf der Einfluss, den er auf die jüngere deutsche Sprachgeschichte durch die Übersetzung der Bibel und andere theologische Schriften genommen hat, dennoch nicht unterschätzt werden. Die oben genannten Beispiele zeigen des Weiteren auch, dass viele Wörter aus dem religiösen Bereich inzwischen in den Alltag eingegangen sind und dabei im Zuge von Aufklärung und Säkularisation eine vornehmlich
Weitere Kostenlose Bücher