Geschichte der deutschen Sprache
als
kapitalistischer Profit
diffamiert wird. Viele Ausdrücke des offiziellen Sprachgebrauchs der DDR dienen dazu, das eigene System zu idealisieren. Als Beispiele für solche Fahnenwörter können
Arbeiter- und Bauernstaat
,
Friedenskampf
,
nationale Volksarmee
,
Volkseigentum
und andere mehr gelten. Charakteristisch für den Sprachgebrauch der DDR ist im Weiteren die ständige Wiederholung zentraler Wörter, durch die so etwas wie eine öffentliche Sprach-Wirklichkeit erzeugt wird. Zu solchen Wörtern gehören etwa
friedliebend
,
Massen, sich qualifizieren
oder
sozialistisch
(Entsprechungen hierzu sind im Sprachgebrauch der Bundesrepublik selbstverständlich ebenfalls zu finden; vgl. etwa
Demokratisierung
,
dynamisch
,
freiheitlich
,
Markt
oder
sozial
). In der DDR werden auch manche Wörter und Phrasen im Sinne des
real existierenden Sozialismus
umgedeutet; so beispielsweise
Jugendfreund
zu ‹Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ)› oder
für den Frieden kämpfen
zu ‹für das sozialistische System kämpfen›. Das letzte Beispiel zeigt, dass auch im DDR-Sprachgebrauch systemkonforme Euphemismen ihren festen Platz haben; so stehen hier des Weiteren
Bedarfslücke
für ein fehlendes Angebot oder
Industrienebel
für Smog. Eine solche Redeweise provoziert in der Bevölkerung dann leicht die Erfindung systemkritischer bzw. parodistischer Euphemismen wie etwa
Rotlichtbestrahlung
für politische Beeinflussung oder
Jahresendflügelfigur
für Weihnachtsengel.
Mit der sog.
Wiedervereinigung
der beiden deutschen Staaten durch den Beitritt der
Neuen Bundesländer
ist die Entwicklung des politisch-sozialen Wortschatzes im Osten und Westen Deutschlands längst nicht zu Ende gegangen: Man beachte etwa folgende Beispiele aus dem Wendewortschatz : Aus der Anfangszeit stammen
Reisefreiheit
oder
vereintes Deutschland
; im weiteren Verlauf kommen später
Konsumrausch
,
Wendehals
und
gaucken
(nach der sog.
Gauck-Behörde
) hinzu. Dass die politische und soziale Gestaltung der Vereinigung Deutschlands für die Bevölkerung nicht immer leicht war und ist, spiegelt sich schließlich in Wörtern wie
Besserwessi
bzw.
Jammerossi
,
Bürger 2. Klasse
oder
Ostalgie
wider. Solange solche Ausdrücke noch auf breitere Akzeptanz stoßen, wird die politische Vereinigung Deutschlands in den Köpfen der Menschen nicht restlos vollzogen sein.
Die deutsche Sprache wird nicht allein als Sprache in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch in einigen Nachbarländern gesprochen. Dabei dient Deutsch in Österreich und in der Schweiz (neben anderen Sprachen) auch als Amtssprache und zeigt im alltäglichen wie im offiziellen Gebrauch einige Besonderheiten, die jeweils durchaus auch als Hinweise auf die nationale und staatliche Eigenständigkeit gewertet werden. So umfasst das österreichische Deutsch einige sog. Austriazismen, die entweder mundartlichen Ursprungs aus dem Bairischen sind oder auf politisch-institutionelle Besonderheiten zurückgehen: Zu nennen wären hier unter anderem
Obers
‹Sahne›,
Jause
‹Zwischenmahlzeit› oder
Gelse
‹Stechmücke› einerseits sowie
Verlassenschaft
‹Nachlass›,
Präsenzdienst
‹Wehrdienst› oder
Matura
‹Abitur› andererseits. Die eidgenössischen Helvetismen gehen in Entsprechung hierzu entweder auf die alemannische Mundart oder politisch-institutionelle Eigentümlichkeiten der Schweiz zurück:
Jupe
‹Rock›,
Salär
‹Gehalt› oder
Velo
‹Fahrrad› bzw.
Fürsprech
‹Rechtsanwalt,
Allmend
‹Gemeindeland› oder
Proporz
‹Sitzverteilung›.
Angesichts all dieser Beispiele wird deutlich, dass sprachgeschichtliche Entwicklungen gerade im Bereich des Wortschatzes besonders deutlich zu erkennen sind und dabei auch recht kurzfristige Veränderungen spürbar werden lassen. Der Wortschatz der Gegenwart ist so auch durch eine ganze Reihe an charakteristischen Wörtern geprägt. Dabei sind es vor allem vier Bereiche, aus denen die Alltagssprache neue Wörter gewinnt. Erstens aus den Wissenschaften:
System
,
Methode
,
Antibiotikum
(oft in der Pluralform als Singular:
das Antibiotika
),
Kompetenz
,
Evaluation
usw. Zweitens aus der Technik
Auto matik getriebe
,
Niedrigenergiehaus
,
Atomenergie
,
Satellitenfernsehen
,
Mehrwegflasche
,
Neue Medien
,
E-Mail
,
W-Lan
usw.; in übertragener Bedeutung auch
dazwischenfunken
‹unterbrechen›,
Dachschaden
‹geistiger Defekt›,
eine lange Leitung haben
‹schwer von Begriff sein›. Drittens aus Wirtschaft, Kultur und
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