Geschichte der deutschen Sprache
Gesellschaft:
Betriebsklima
,
Dienstleistungsgesellschaft
,
Arbeitslosengeld II
,
Live-Übertragung
,
Casting-Show
,
Szene-Sprache
,
Radikalenerlass
usw. Und viertens schließlich aus dem Bereich des Sports:
starten
,
spurten
,
Freistoß
,
Halbzeit
; in übertragener Bedeutung:
Schrittmacher
‹Wegbereiter›,
Sprungbrett
‹günstiger Ausgangspunkt›,
Tiefschlag
‹gemeine, zerstörerische Handlung›.
Viele dieser Wörter haben in ihrem fach- bzw. sondersprachlichen Zusammenhang eine genau umrissene Bedeutung, die sie jedoch im allgemeinsprachlichen Bereich verlieren und somit als mehr oder weniger unbestimmte Worthülsen erscheinen lassen und dabei mehr dem sprachlichen Imponieren als dem sprachlichen Informieren dienen; vgl. zum Beispiel
Evaluation
,
Qualität
oder
System
. Dieses Phänomen wurde in jüngerer Zeit wiederholt zum Gegenstand von Sprachkritik und Sprachparodie.Ein Beispiel hierfür stellen sog. «Phrasen-Dreschmaschinen» unterschiedlicher Form und Herkunft dar: Denken Sie sich eine dreistellige Zahl und ermitteln Sie dann anhand der folgenden Tabelle die entsprechende Formulierungshülse:
0.
ambivalente
Koalitions-
-kontingenz
1.
emanzipatorische
Motivations-
-flexibilität
2.
konstruktive
Aktions-
-akzeleration
3.
permanente
Identifikations-
-problematik
4.
kreative
Kommunikations-
-tendenz
5.
integrierte
Interpretations-
-konzeption
6.
funktionale
Organisations-
-präferenz
7.
systematisierte
Fluktuations-
-struktur
8.
qualifizierte
Beziehungs-
-relevanz
9.
konzertierte
Innovations-
-phase
Die Frage, ob der Wortschatz des Deutschen angesichts all dieser Entwicklungen wirklich reicher geworden ist, lässt sich trotz der eingangs genannten Zahlen abschießend nicht eindeutig beantworten – auch wenn moderne Wörterbuchverlage gerne mit der wachsenden Anzahl an Einträgen in ihren Werken werben. Viele Ausdrücke und Bedeutungen, die einmal in die deutsche Sprache Eingang gefunden haben, sind hieraus nach einer mehr oder weniger langen Zeit auch wieder verschwunden – seien es nur kurzlebige Modewörter oder doch auch Schlüsselwörter größerer kultureller Epochen. Manche Wörter oder Begriffe aus längst vergangenen Zeiten sind heute nicht mehr überliefert. Andere, die wir heute kennen, haben eben doch nur in gesellschaftlichen Nebenbereichen Bedeutung erlangt, sodass sie zwar zur deutschen Standardsprache gezählt werden dürfen, nach wie vor aber nur einem eher begrenzten Personenkreis bekannt sind. Und so wird man unter dem Strich also eher von einer Verschiebung und weniger von einer Bereicherung oder gar Verarmung des deutschen Wortschatzes reden dürfen.
4.3 Multikultureller Wortschatz?
Ungeachtet des Problems einer Zu- oder Abnahme unseres Wortschatzes bewegt viele Zeitgenossen die Frage, ob nicht immer mehr fremde Wörter in die deutsche Sprache eindringen und gegebenenfalls deren Bestand gefährden. Auch hier hilft ein Blick in die Geschichte weiter. In der Sprachgeschichtsforschung werden verschiedene Möglichkeiten eines solchen fremdsprachlichen Einflusses, der Entlehnung im Deutschen , unterschieden (vgl. die folgende Aufstellung): Je länger ein Wort aus einer anderen Sprache verwendet wird, desto stärker wird es lautlich und grammatisch an das Deutsche angepasst (vgl. das formal kaum angepasste Fremdwort gegenüber dem formal angepassten Lehnwort). Übertragungen aus anderen Sprachen im Deutschen erfolgen wörtlich mehr oder weniger genau (vgl. die wörtlich genaue Lehnübersetzung im Unterschied zu der freieren Lehnübertragung und zu der formal unabhängigen Lehnschöpfung); oder sie ahmen eine andere Sprache unter Rückgriff auf deren Ausdrücke nur nach, ohne aus ihr selbst zu stammen (Fremdschöpfung); oft findet sich auch der Gebrauch eines deutschsprachigen Ausdrucks unter einer Bedeutung aus einer anderen Sprache (Lehnbedeutung).
Typ
Merkmal
Beispiele
Fremdwort
Ausdruck formal nicht angepasst
Flirt
(engl.),
Palais
(franz.),
Sputnik
(russ.)
Lehnwort
Ausdruck formal angepasst
Pfingsten
(griech.
pentecoste
),
Streik
(engl.
strike
)
Lehnübersetzung
Übertragung Glied für Glied
Mitlaut
(lat.
Konsonant
),
Halbwelt
(franz.
demi-monde
)
Lehnübertragung
freie Übertragung
Vaterland
(lat.
patria
),
Wolkenkratzer
(engl.
sky-scraper
)
Lehnschöpfung
Ausdruck formal unabhängig
Umwelt
(franz.
milieu
),
Sinnbild
(
Symbol
)
Fremdschöpfung
Ausdruck nach fremder Form
handy
(engl.
mobile phone
)
Lehnbedeutung
eigener Ausdruck mit fremder
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