Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
russischen Soldaten und der österreichischen und deutschen Gefangenen ein greller hoffnungserregender Faktor, der den Glauben weckte, die Revolution verbürge trotz allem irgendeine bessere Welt.
Gleich der Märzbeisetzung verlief auch die Maifeier in völliger Ordnung, ohne Zusammenstöße und Opfer, wie ein "allnationales" Fest. Das aufmerksame Ohr jedoch konnte mühelos aus den Reihen der Soldaten und Arbeiter eine ungeduldige und sogar drohende Note vernehmen. Das Leben werde immer schwerer. Und in der Tat: die Preise wuchsen bedrohlich, die Arbeiter forderten feste Minimallöhne, die Unternehmer widersetzten sich, die Konflikte in den Betrieben nahmen ununterbrochen zu. Die Ernährungslage verschlechterte sich, die Brotration wurde kleiner, sogar für Graupen führte man Karten ein. Auch in der Garnison wuchs die Unzufriedenheit. Der Kreisstab beabsichtigte, durch Entfernung der revolutionären Truppenteile aus Petrograd die Soldaten unschädlich zu machen. In der Versammlung der gesamten Garnison vom 17. April verlangten Soldaten, die die feindliche Absicht errieten, Einstellung des Abtransports von Truppenteilen: diese Forderung wird sich künftig bei jeder neuen Krise der Revolution in immer schärferer Form erheben. Doch die Wurzel allen Unheils bleibt der Krieg, dessen Ende nicht abzusehen ist. Wann wird die Rs-volution Frieden bringen? Warum schauen Kerenski und Zeretelli zu? Immer aufmerksamer lauschten die Massen den Bolschewiki, lauernd, abwartend blickten sie zu ihnen hin, die einen noch halb feindselig, die anderen bereits vertrauensvoll. Unter der Feiertagsdisziplin verbarg sich eine gespannte Stimmung; in den Massen gärte es.
Aber niemand, auch nicht die Autoren des Transparentes am Mariinski-Palais, ahnte, daß schon die nächsten zwei, drei Tage die Hülle nationaler Einheit, die die Revolution umgab, erbarmungslos zerreißen würden. Die bedrohlichen Ereignisse, deren Unvermeidlichkeit viele vorausgesehen, niemand aber so bald erwartet hatte, brachen überraschend herein. Den Anstoß dazu gab die Außenpolitik der Provisorischen Regierung, das heißt das Problem des Krieges. Kein anderer als Miljukow hat das Zündholz an den Docht gelegt.
Die Geschichte des Zündholzes und des Dochtes: Am Tage des Eintritts Amerikas in den Krieg entwickelte der Außenminister der Provisorischen Regierung, der nun Mut geschöpft hatte, den Journalisten sein Programm: Eroberung Konstantinopels, Eroberung Armeniens, Aufteilung Österreichs und der Türkei, Eroberung Nordpersiens und darüber hinaus selbstverständlich das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung. "Bei jedem Hervortreten", deutet Historiker Miljukow den Minister Miljukow, "unterstrich er entschieden die pazifistischen Ziele des Befreiungskrieges, aber er brachte sie stets in engste Verbindung mit den nationalen Aufgaben und Interessen Rußlands." Das Interview scheuchte die Versöhnler auf "Wann wird die Außenpolitik der Provisorischen Regierung sich endlich von Heuchelei befreien?" entrüstete sich die Zeitung der Menschewiki. "Weshalb verlangt die Provisorische Regierung von den alliierten Regierungen nicht den offenen und entschiedenen Verzicht auf Annexionen?" Als Heuchelei betrachteten diese Menschen die offene Sprache des Räubers. Sie wären bereit gewesen, in einer pazifistischen Verschleierung des Appetits die Befreiung von Heuchelei zu erblicken. Der über die Erregung der Demokratie erschrockene Kerenski beeilte sich, mittels des Pressebüros verlauten zu lassen: das Programm Miljukows sei dessen persönliche Ansicht. Daß der Autor dieser persönlichen Ansicht Außenminister war, galt offenbar als purer Zufall.
Zeretelli, der das Talent besaß, jede Frage zu einem Gemeinplatz zu machen, bestand nun auf der Notwendigkeit einer Regierungserklärung, daß der Krieg für Rußland ausschließlich ein Verteidigungskrieg sei. Der Widerstand Miljukows und zum Teil Gutschkows wurde gebrochen, und am 27. März kam die Regierung mit folgender Deklaration nieder: "Das Ziel des freien Rußland ist nicht Herrschaft über andere Völker, nicht Enteignung ihres Nationalbesitzes, nicht gewaltsame Eroberung fremden Territoriums", sicher aber "restlose Einhaltung der unseren Alliierten gegenüber übernommenen Verpflichtungen". Auf diese Weise verkündeten die Zaren und Propheten der Doppelherrschaft ihre Absicht, zusammen mit den Vatermördern und Ehebrechern ins Himmelreich zu kommen. Diesen Herren fehlte neben allem anderen das Gefühl für das
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