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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Massenkampfes verwandelten das russische Proletariat im Laufe einiger Jahre bis zur Unkenntlichkeit. Fabriken, die noch zwei, drei Jahre vorher wegen irgendeines vereinzelten Aktes polizeilicher Willkür einmütig in den Streik getreten waren, verloren jetzt das revolutionäre Gesicht und nahmen die ungeheuerlichsten Verbrechen der Behörden widerstandslos hin. Große Niederlagen entmutigten für lange. Die revolutionären Elemente verlieren die Macht über die Massen. Noch nicht erloschene Vorurteile und Aberglaube gewinnen in ihrem Bewußtsein die Oberhand. Die grauen Abkömmlinge des Dorfes verwässern inzwischen die Arbeiterreihen. Die Skeptiker schütteln ironisch die Köpfe. So geschah es in den Jahren 1907 bis 1911. Doch die molekularen Prozesse in den Massen heilen die psychischen Wunden der Niederlagen. Eine neue Wendung der Ereignisse oder ein unterirdischer ökonomischer Anstoß eröffnet einen neuen politischen Zyklus. Revolutionäre Elemente finden wieder ihr Auditorium. Der Kampf lebt auf höherer Stufe auf.
    Zum Verständnis der beiden Hauptströmungen in der russischen Arbeiterklasse ist es wichtig, zu berücksichtigen, daß der Menschewismus sich endgültig in den Jahren der Reaktion und der Ebbe formte, hauptsächlich gestützt auf die dünne Arbeiterschicht, die mit der Revolution gebrochen hatte, während der Bolschewismus, in der Periode der Reaktion grausam niedergeschlagen, sich in den Jahren vor dem Kriege auf dem Rücken der neuen revolutionären Flut schnell aufzurichten begann. "Am energischsten, verwegensten, zum unermüdlichen Kampf, Widerstand und zur dauernden Organisierung am befähigsten sind jene Elemente, Organisationen und Personen, die sich um Lenin konzentrieren", mit diesen Worten beurteilte das Polizeidepartement die Arbeit der Bolschewiki in den dem Kriege vorangegangenen Jahren.
    Im Juli 1914, als die Diplomaten den letzten Nagel in das Kreuz eintrieben, an das Europa geschlagen werden sollte, brodelte es in Petrograd wie in einem revolutionären Kessel. Der Präsident der Französischen Republik, Poincaré, mußte unter dem letzten Widerhall des Straßenkampfes und den ersten Lauten patriotischer Kundgebungen den Kranz am Denkmal Alexanders III. niederlegen.
    Würde die Offensivbewegung der Massen in den Jahren 1912 bis 1914 ohne den Krieg zum Sturze des Zarismus geführt haben? Man kann diese Frage wohl kaum mit Bestimmtheit beantworten. Der Prozeß führte unabwendbar zur Revolution. Aber welche Etappen hätte er dabei durchschreiten müssen? Lauerte ihm nicht noch eine Niederlage auf? Welche Frist hätten die Arbeiter nötig gehabt, um die Bauern auf die Beine zu bringen und die Armee zu gewinnen? Nach all diesen Richtungen hin sind nur Vermutungen möglich. Der Krieg hatte jedenfalls anfänglich dem Prozeß einen rückläufigen Gang verliehen, um ihn dann um so mächtiger zu beschleunigen und ihm einen überwältigenden Sieg zu sichern.
    Beim ersten Trommelschlag erstarb die revolutionäre Bewegung. Die aktivsten Arbeiterschichten wurden mobilisiert. Die revolutionären Elemente aus den Betrieben an die Front geworfen. Auf Streiks standen strenge Strafen. Die Arbeiterpresse war weggefegt. Die Gewerkschaften erdrosselt. In die Werkstätten ergossen sich zu Hunderttausenden Frauen, Jugendliche, Bauern. Politisch desorientierte der Krieg in Verbindung mit dem Zusammenbruch der Internationale die Massen außerordentlich und gestattete der Fabrikadministration, die den Kopf erhoben hatte, im Namen der Betriebe patriotisch aufzutreten, einen bedeutenden Teil der Arbeiter mitzureißen und die Kühneren und Entschlosseneren zu zwingen, sich abwartend zurückzuziehen. Der revolutionäre Gedanke glimmte nur noch in kleinen, stillgewordenen Kreisen. Sich "Bolschewik" zu nennen wagte zu jener Zeit in den Betrieben niemand, hieß das doch, sich der Verhaftung oder Verprügelung durch rückständige Arbeiter aussetzen.
    Die bolschewistische Dumafraktion, schwach in der personellen Zusammensetzung, zeigte sich im Augenblick des Kriegsbeginns nicht auf der Höhe. Gemeinsam mit den menschewistischen Deputierten brachte sie eine Deklaration ein, in der sie sich verpflichtete, "das kulturelle Wohl des Volkes gegen jeden Anschlag, woher er auch kommen möge, zu verteidigen". Mit Beifall unterstrich die Duma diese Preisgabe der Position. Von den russischen Organisationen und Gruppen der Partei bezog keine einzige eine offen defätistische Stellung, wie sie Lenin im Auslande proklamierte.

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