Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
bereitet habe. Kamenjew beantragte im Namen der Bolschewiki die Bildung einer reinen Sowjet-Regierung. Kollontay, eine populäre Revolutionärin, die während des Krieges von den Menschewiki zu den Bolschewiki übergegangen war, schlug vor, in den Bezirken und Vororten Petrograds eine Volksabstimmung über die Regierungsfrage vorzunehmen. Diese Vorschläge gingen jedoch an dem Bewußtsein des Sowjets fast unmerklich vorüber: die Frage schien beigelegt. Mit großer Mehrheit, gegen 13 Stimmen, fand die tröstliche Resolution des Exekutivkomitees Annahme. Allerdings war die Mehrzahl der bolschewistischen Deputierten noch in den Betrieben, auf den Straßen, bei Demonstrationen. Immerhin bleibt unzweifelhaft, daß in der ausschlaggebenden Masse des Sowjets noch kein Umschwung zum Bolschewismus eingetreten war.
Der Sowjet verfügte, in den nächsten zwei Tagen sich jeglicher Straßendemonstrationen zu enthalten. Der Beschluß wurde einstimmig angenommen. Es konnte bei keinem auch nur der Schatten eines Zweifels entstehen, daß sich alle dem Beschluß unterwerfen würden. Und tatsächlich, Arbeiter, Soldaten, bürgerliche Jugend, der Wyborger Bezirk und der Newskij-Prospekt - niemand wagte sich der Weisung des Sowjets zu widersetzen. Die Beruhigung trat ohne irgendwelche Zwangsmaßnahmen ein. Es genügte dem Sowjet, sich als Herr der Lage zu fühlen, um es in der Tat zu sein. In die Redaktionen der linken Zeitungen strömten inzwischen zu Dutzenden in Betrieben und Regimentern angenommene Resolutionen mit der Forderung der sofortigen Verabschiedung Miljukows, mitunter auch der gesamten Provisorischen Regierung. Nicht nur Petrograd war in Wallung gekommen. In Moskau verließen Arbeiter die Werkbank, Soldaten die Kasernen und erfüllten die Straßen mit stürmischen Protesten. Das Exekutivkomitee erhielt in den folgenden Tagen Dutzende von Telegrammen von örtlichen Sowjets mit Protesten gegen die Politik Miljukows und der Versicherung restloser Unterstützung des Sowjets. Ähnliche Erklärungen trafen von der Front ein. Dennoch sollte alles beim alten bleiben.
"Während des 21. April", behauptete Miljukow später, "überwog auf den Straßen eine der Regierung wohlwollende Stimmung." Er meinte offenbar die Straßen, die er von seinem Balkon aus überblicken konnte, nachdem die Mehrzahl der Arbeiter und Soldaten in ihre Quartiere zurückgekehrt war. In Wirklichkeit war die Regierung vollkommen entblößt. Es stand keinerlei ernstliche Macht hinter ihr. Wir haben es schon von Stankewitsch und dem Fürsten Lwow selbst vernommen. Was aber bedeuteten Kornilows Versicherungen, er besäße Kräfte genug, um mit den Meuterern fertigzuwerden? Nichts als des ehrenwerten Generals äußersten Leichtsinn. Er wird im August seinen Gipfel erreichen, wenn der Verschwörer Kornilow nicht existierende Truppen gegen Petrograd anrücken lassen wird. Die Sache lag nämlich so, daß Kornilow noch immer versuchte, vom Kommandobestand auf die Truppen zu schließen. Die Offiziere standen in ihrer Mehrzahl zweifellos hinter ihm; das heißt, sie waren bereit, unter dem Vorwand, die Provisorische Regierung zu schützen, dem Sowjet die Rippen zu brechen. Die Soldaten jedoch hielten zum Sowjet, wobei sie ihrer Stimmung nach unvergleichlich weiter links standen als der Sowjet. Da aber der Sowjet selbst für die Provisorische Regierung eintrat, ergab sich, daß Kornilow zum Schutze der Provisorischen Regierung Sowjetsoldaten mit reaktionären Offizieren an der Spitze hinausführen konnte. Dank dem Regime der Doppelherrschaft spielten alle miteinander Blindekuh. Kaum jedoch hatten die Sowjetführer den Truppen befohlen, die Kasernen nicht zu verlassen, blieb Kornilow mitsamt der Provisorischen Regierung in der Luft hängen.
Trotzdem stürzte die Regierung nicht. Die Massen die den Angriff begonnen hatten, waren keineswegs darauf vorbereitet, ihn zu Ende zu führen. Die Versöhnler durften deshalb noch versuchen, das Februarregime auf seinen Ausgangspunkt zurückzubringen. Als hätten sie vergessen oder als wollten sie bloß die anderen vergessen machen, daß das Exekutivkomitee gezwungen gewesen war, offen gegen die "gesetzliche" Macht Hand auf die Armee zu legen, klagten die Mitteilungen des Sowjets vom 22. April: "Die Sowjets haben die Ergreifung der Macht nicht angestrebt. Indes trugen viele Banner der Sowjetanhänger Aufschriften, die den Sturz der Regierung und die Übertragung der gesamten Macht an die Sowjets forderten" ... Ist es denn nicht in
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