Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
den Sowjets. Die Gegner erblickten in dieser Erklärung einen Rückzug erschrockener Führer oder aber ein schlaues Manöver. Aber wir kennen bereits Lenins Grundeinstellung zur Frage der Macht; jetzt lehrte er die Partei, die Aprilthesen in der Praxis anzuwenden.
Drei Wochen zuvor hatte Kamenjew erklärt, er sei "glücklich", gemeinsam mit den Menschewiki und Sozialrevolutionären für die einheitliche Resolution über die Provisorische Regierung stimmen zu können, während Stalin die Theorie der Arbeitsteilung zwischen Kadetten und Bolschewiki entwickelte. In welch weite Ferne waren diese Tage und diese Theorien gerückt! Nach der Lehre der Apriltage trat Stalin nun zum ersten Male gegen die Theorie der wohlwollenden "Kontrolle" über die Provisorische Regierung auf, behutsam vor seinem eigenen gestrigen Tag zurückweichend. Doch blieb dieses Manöver unbeachtet.
Worin bestand das Element des Abenteurertums in der Politik einiger Teile der Partei? fragte Lenin auf der Konferenz, die gleich nach den ernsten Tagen stattfand. In dem Versuch, dort mit Gewalt vorzugehen, wo es für revolutionäre Gewalt noch nicht oder nicht mehr Platz gibt. "Man kann jemand stürzen, der dem Volke als Gewalthaber bekannt ist. Jetzt gibt es keine Gewalthaber, die Kanonen und Gewehre sind bei den Soldaten, nicht bei den Kapitalisten; die Kapitalisten gehen jetzt nicht mit Gewalt vor, sondern mit Betrug, und jetzt nach Gewalt zu schreien, ist Unsinn ... Wir hat-ten die Parole friedlicher Demonstrationen ausgegeben. Wir beabsichtigten nur eine friedliche Auskundschaftung der Kräfte des Feindes, nicht aber eine Schlacht zu liefern, das Petrograder Komitee jedoch steuerte ein bißchen zu sehr nach links ... Gleichzeitig mit der richtigen Parole: "Hoch die Sowjets" wurde eine unrichtige gegeben: "Nieder mit der Provisorischen Regierung". Im Augenblick der Aktion war es unangebracht, "ein bißchen zu sehr nach links" zu steuern. Wir betrachten das als das größte Verbrechen, als Desorganisation."
Was liegt den dramatischen Ereignissen der Revolution zugrunde? Verschiebungen im Kräfteverhältnis. Wodurch werden sie hervorgerufen? Hauptsächlich durch die Schwankungen der Zwischenklassen, der Bauernschaft, des Kleinbürgertums, der Armee. Ein gigantischer Abstand der Schwankungen - vom kadettischen Imperialismus bis zum Bolschewismus. Diese Schwankungen gehen gleichzeitig nach zwei entgegengesetzten Richtungen. Die politische Vertretung des Kleinbürgertums, dessen Spitzen, die versöhnlerischen Führer, neigen immer mehr nach rechts, zur Bourgeoisie. Die unterdrückten Massen werden immer schärfer und mutiger nach links schwingen. Während Lenin gegen das von den Leitern der Petrograder Organisation bekundete Abenteurertum auftritt, macht er den Vorbehalt: würde sich die Zweischichten-Masse ernstlich, entschlossen und dauerhaft zu uns bekennen, wir würden keinen Augenblick zaudern, die Regierung aus dem Mariinski-Palais hinauszusetzen. Das aber ist noch nicht der Fall. Die Aprilkrise, die sich auf den Straßen abspielte, ist "nicht das erste und nicht das letzte Schwanken der kleinbürgerlichen und halbproletarischen Masse". Unsere Aufgabe ist vorläufig noch: "geduldig aufklären", die nächste, tiefere, bewußtere Schwenkung der Massen auf unsere Seite vorbereiten.
Was das Proletariat betrifft, so bekam seine Wendung zu den Bolschewiki im Laufe des April klar ausgeprägten Charakter. Es erschienen Arbeiter bei den Parteikomitees und fragten, wie man sich von der menschewistischen Partei in die bolschewistische umschreiben könnte. In den Betrieben bedrängte man die eigenen Deputierten mit Fragen über Außenpolitik, Krieg, Doppelherrschaft, Ernährung, und als Folge solcher Prüfungen wurden die sozialrevolutionären oder menschewistischen Deputierten immer häufiger durch bolschewistische ersetzt. Die schroffe Wendung begann bei den Bezirkssowjets, als den den Betrieben am nächsten stehenden. In den Sowjets der Wyborger Seite der Wassiljewski-Insel und des Narwskij-Bezirks waren die Bolschewiki Ende April wie mit einem Schlage in der Mehrheit. Das war von größter Bedeutung, aber die von der hohen Politik in Anspruch genommenen Führer des Exekutivkomitees betrachteten nur hochmütig das Treiben der Bolschewiki in den Arbeitervierteln. Die Bezirke jedoch bedrängten das Zentrum immer stärker. Ohne Zutun des Petrograder Komitees begann in den Betrieben eine energische und erfolgreiche Kampagne für Neuwahlen zum Stadtsowjet der
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