Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Abschaffung des gutsherrlichen Bodenbesitzes, das heißt die einzige Maßnahme, die den rückständigsten Bauern überzeugen könnte, daß diese Revolution seine Revolution" ist, nicht zu beschließen wage, endet der Artikel mit den Worten: "Unter solchen materiellen und geistigen Bedingungen muß die Offensive unvermeidlich den Charakter eines Abenteuers erhalten."
Der Kommandobestand glaubte fast durchweg, daß die in militärischer Hinsicht hoffnungslose Offensive ausschließlich aus politischen Erwägungen erforderlich sei. Nachdem Denikin seine Front bereits hatte, meldete er Brussilow: "Ich glaube an keinen Erfolg der Offensive." Das letzte Element der Hoffnungslosigkeit brachte die Untauglichkeit des Kommandobestandes selbst hinein. Der Offizier und Patriot Stankewitsch bezeugt, daß ein Sieg vom Standpunkt der technischen Vorbereitung ausgeschlossen war, unabhängig von der moralischen Verfassung der Truppen: "Die Offensive war unter aller Kritik organisiert." Eine Offiziersdelegation mit dem Vorsitzenden des Offiziersverbandes, dem Kadetten Nowosilzew, an der Spitze, suchte die Führer der Kadettenpartei auf und warnte sie, die Offensive werde zu einem Mißerfolg verurteilt sein und zur Vernichtung der besten Truppenteile führen. Die höheren Stellen entledigten sich der Warnungen mit allgemeinen Phrasen: "Es glimmte die Hoffnung", sagte der Stabschef des Hauptquartiers, der reaktionäre General Lukomski, "daß der Beginn der erfolgreichen Kämpfe die Massenpsychologie vielleicht verändern und den Vorgesetzten die Möglichkeit geben werde, die ihren Händen entfallenen Zügel wieder straffzuziehen" Darin eben bestand das eigentliche Ziel: die Zügel straffzuziehen.
Entsprechend einem längst ausgearbeiteten Plane bestand ursprünglich die Absicht, mit den Kräften der Südwestfront den Hauptschlag in der Richtung auf Lemberg zu führen; der Nord- und Westfront waren Hilfsaufgaben zugedacht. Der Angriff sollte gleichzeitig an allen Fronten beginnen. Bald aber wurde offenbar, daß dieser Plan die Kräfte des Kommandos weit überstieg. Es wurde deshalb beschlossen, an den einzelnen Fronten, beginnend mit den weniger wichtigen, der Reihe nach loszuschlagen. Aber auch dies erwies sich als undurchführbar. "Nunmehr beschloß das Oberste Kommando", sagte Denikin, "auf jede strategische Planmäßigkeit zu verzichten und gezwungenermaßen den Fronten zu überlassen, die Operationen nach Maßgabe ihrer Bereitschaft zu beginnen." Alles wurde der Vorsehung anheimgestellt. Es fehlten nur noch die Heiligenbilder der Zarin. Man versuchte sie durch die Heiligenbilder der Demokratie zu ersetzen. Kerenski reiste umher, beschwor, segnete. Die Offensive begann: am 16. Juni an der Südwestfront; am 7. Juli an der Westfront; am 8. an der Nordfront, am 9. an der rumänischen Front. Das Losschlagen der letzten drei Fronten, im Wesen fiktiv, traf bereits zusammen mit dem Beginn des Zusammenbruches der wichtigsten, das heißt der Südwestfront.
Kerenski meldete der Provisorischen Regierung: "Heute ist das große Fest der Revolution. Am 18. Juni ist die russische revolutionäre Armee mit höchster Begeisterung zum Angriff übergegangen." "Das langersehnte Ereignis ist eingetreten", schrieb die Rjetsch, das Blatt der Kadetten, "das die guten Tage der russischen Revolution mit einem Schlage zurückbrachte." Am 19. Juni deklamierte der Greis Plechanow bei einer patriotischen Kundgebung: "Bürger! Wenn ich euch frage, welcher Tag heute ist, werdet ihr mir sagen: Montag. Aber das ist ein Irrtum: heute ist Sonntag, ein Sonntag für unser Land und für die Demokratie der ganzen Welt. Rußland, das das Joch des Zarismus abgeschüttelt hat, hat beschlossen, auch das Joch des Feindes abzuschütteln." Zeretelli erklärte am selben Tage auf dem Rätekongreß: "Es beginnt eine neue Seite in der Geschichte der großen Russischen Revolution ..." "Nicht allein die russische Demokratie muß die Erfolge unserer revolutionären Armee begrüßen, sondern auch ... alle jene, die einen Kampf gegen den Imperialismus wirklich anstreben." Die patriotische Demokratie hatte alle ihre Schleusen geöffnet.
Die Zeitungen brachten inzwischen die freudige Nachricht: "Die Pariser Börse begrüßt die russische Offensive mit dem Steigen aller russischen Wertpapiere." Die Sozialisten versuchten, die Festigkeit der Revolution am Kurszettel zu prüfen. Die Geschichte aber lehrt, daß die Börse sich um so besser fühlt, je schlechter es der Revolution geht.
Die
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