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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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erst einmal in die Kriegsmaschine hineingesteckt, nicht mehr imstande sein würde, sie zurückzuziehen.
    Da weder die Diplomatie der Provisorischen Regierung noch die Verbrüderung zum Ziele geführt hatten, neigte ein Teil der Soldaten zweifellos zum dritten Weg: den Stoß zu geben, durch den der Krieg in Asche zerfallen müsse. Auf dem Rätekongreß gab ein Frontdelegierter die Stimmung der Soldaten gerade so wieder: "Vor uns liegt die jetzt stark gelichtete deutsche Front, vor uns stehen jetzt keine Kanonen; gehen wir los und werfen den Feind um, dann sind wir dem ersehnten Frieden nähergekommen."
    Der Feind erwies sich anfangs tatsächlich als sehr schwach und zog sich zurück, ohne den Kampf anzunehmen, den zu liefern die Angreifer allerdings auch nicht imstande gewesen wären. Der Feind zerfiel aber durchaus nicht, sondern gruppierte sich um und zog seine Kräfte zusammen. Nachdem sie 20-30 Kilometer vorgegangen waren, eröffnete sich den russischen Soldaten ein Bild, das ihnen aus der Erfahrung der vergangenen Jahre nur zu gut bekannt war: der Feind erwartete sie auf neuen, befestigten Positionen. Und da offenbarte sich auch, daß, wenn die Soldaten auch noch einverstanden gewesen waren, einen Stoß zugunsten des Friedens zu führen, sie keinesfalls den Krieg wollten. Durch Gewalt, moralischen Druck und hauptsächlich Täuschung in diesen hineingezogen, machten sie um so entrüsteter kehrt.
    "Nach einer artilleristischen Vorbereitung, wie man sie ihrer Stärke und Größe nach russischerseits noch nie gesehen hatte", schreibt der russische Geschichtsschreiber des Weltkrieges, General Sajontschkowski, "besetzten die Truppen fast ohne Verluste die feindlichen Positionen und wollten nicht weiter vorgehen. Es begann eine Massendesertion, ganze Truppenteile verließen die Stellungen."
    Der ukrainische Politiker Doroschenko, ehemaliger Kommissar der Provisorischen Regierung in Galizien, erzählt, nach der Einnahme der Städte Galitsch und Kalusch "erfolgte in Kalusch sofort ein furchtbarer Pogrom gegen die Bevölkerung, ausschließlich Ukrainer und Juden, - die Polen tastete man nicht an. Den Pogrom leitete irgendeine erfahrene Hand, die besonders auf die ukrainischen kulturell aufklärenden Institutionen in der Stadt hinwies." Am Pogrom beteiligten sich "die besten, durch die Revolution am wenigsten demoralisierten" Truppenteile, die für die Offensive sorgfältigst ausgesucht worden waren. Aber noch offener enthüllten dabei ihr Antlitz die Führer der Offensive, die alten zaristischen Kommandeure, erprobte Pogromorganisatoren.
    Am 9. Juli telegraphierten Komitees und Kommissare der II. Armee an die Regierung: "Die am 6. Juli an der Front der II. Armee begonnene deutsche Offensive wächst sich zu einem unermeßlichen Unglück aus ... In der Stimmung der Truppenteile, die vor kurzem mit heroischer Anstrengung der Minderheit in Bewegung gebracht wurden, vollzieht sich ein schroffer und katastrophaler Umschwung. Der Angriffselan hat sich schnell erschöpft. Die Mehrzahl der Truppenteile befindet sich im Zustande stetig wachsender Auflösung. Von Vorgesetzten und Gehorsam kann nicht mehr die Rede sein, Überredungen und Ermahnungen haben ihre Kraft verloren, - sie werden mit Bedrohungen oder auch mit Erschießung beantwortet."
    Der Oberkommandierende der Südwestfront erließ mit Zustimmung der Kommissare und Komitees einen Befehl, auf Fliehende zu schießen.
    Am 12. Juni kehrte der Oberkommandierende der Westfront, Denikin, zu seinem Stab zurück "mit Verzweiflung im Herzen und mit dem klaren Bewußtsein des völligen Zusammenbruchs der letzten noch glimmenden Hoffnung auf ... ein Wunder".
    Die Soldaten wollten nicht kämpfen. Die Truppen in der Etappe, an die sich die geschwächten Truppenteile nach Besetzung der feindlichen Schützengräben um Ersatz wandten, antworteten: "Weshalb seid ihr zum Angriff übergegangen? Wer hat es euch befohlen? Beenden soll man den Krieg, aber nicht angreifen." Der Kommandeur des 1. Sibirischen Korps, das als eines der besten galt, meldete, daß die Soldaten mit Einbruch der Nacht in Scharen, kompanieweise, die nicht attackierte erste Linie zu verlassen begannen. "Ich begriff daß wir Vorgesetzten ohnmächtig waren, die elementare Psychologie der Soldatenmasse zu ändern - und habe bitter, bitter und lange geweint."
    Eine Kompanie weigerte sich sogar, dem Gegner ein Flugblatt über die Einnahme Galitschs zuzuwerfen, solange nicht ein Soldat da sei, der zuvor den deutschen Text ins

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