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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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hartnäckigeren Massencharakter annimmt.
    In dieser ersten Periode, von März bis Juli, enthalten sich die Bauern in ihrer überwiegenden Mehrheit noch der Gewaltanwendung gegen die Gutsbesitzer und offener Landaneignungen. Jakowlew, der die erwähnten Forschungen leitete, erklärt die verhältnismäßig friedliche Taktik der Bauern mit ihrer Vertrauensseligkeit zur Bourgeoisie. Diese Erklärung muß man als unzulänglich bezeichnen. Die Regierung Fürst Lwows konnte aber den Bauern keinesfalls Vertrauen einflößen, selbst wenn man von dem ständigen Argwohn der Muschiks gegen Stadt, Behörde, gebildete Gesellschaft absieht. Daß die Bauern in der ersten Periode noch keine Zuflucht in offenen Gewaltmaßnahmen suchen, sondern bestrebt sind, ihren Handlungen die Form des legalen oder fast legalen Druckes zu geben, läßt sich eben mit dem Mißtrauen gegen die Regierung bei mangelndem Vertrauen auf die eigenen Kräfte erklären. Die Bauern beginnen erst sich zu rühren, tasten den Boden ab, messen den Widerstand des Feindes, und während sie den Gutsbesitzer auf der ganzen Linie bedrängen, sagen sie: "Wir wollen nicht plündern, wir wollen alles gütlich ordnen." Sie eignen sich die Wiesen nicht an, sie mähen nur ab. Sie nehmen den Boden zwangsweise in Pacht, bestimmen selbst den Pachtzins, oder "kaufen" ebenso zwangsweise, Boden zu gleichfalls von ihnen festgesetzten Preisen. Alle diese legalen Verschleierungen sind für den Gutsbesitzer wie für den liberalen Juristen wenig überzeugend und in Wirklichkeit von tiefem aber verstecktem Mißtrauen gegen die Regierung diktiert: im Guten erhältst du es nicht, denkt sich der Muschik, mit Gewalt ist es gefährlich, also muß man es mit List versuchen. Er hätte vorgezogen, den Gutsbesitzer mit dessen Zustimmung zu expropriieren.
    "In allen diesen Monaten", schlußfolgerte Jakowlew, "überwogen ganz eigenartige, in der Geschichte nicht dagewesene Mittel des "friedlichen" Kampfes gegen den Gutsbesitzer, die sich aus dem bäuerlichen Vertrauen zur Bourgeoisie und zur Regierung der Bourgeoisie ergaben." Die Mittel, die hier als in der Geschichte noch nicht dagewesen proklamiert werden, sind in Wirklichkeit ganz typisch, unvermeidlich und geschichtlich allgemein gültig für das Anfangsstadium des Bauernkrieges unter allen Breitengraden. Das Bestreben, die ersten aufrührerischen Schritte durch Gesetzlichkeit, kirchliche oder weltliche, zu decken, charakterisiert seit alters her den Kampf jeder revolutionären Klasse, bevor sie g3-nügend Kraft und Zuversicht gesammelt hat, um die Nabelschnur, die sie mit der alten Gesellschaft verbindet, zu zerreißen. Das bezieht sich auf die Bauernschaft in noch höherem Maße als auf jede andere Klasse, denn selbst in ihren besten Perioden bewegt sie sich im Halbdunkel vorwärts und betrachtet ihre städtischen Freunde mit mißtrauischen Augen. Sie hat dafür Gründe genug. Bei den ersten Schritten der Agrarbewegung sind deren Freunde Agenten der liberalen und radikalen Bourgeoisie. Während sie Teile der Bauernansprüche fördern, sind diese Freunde jedoch uni das Schicksal des bürgerlichen Besitztums besorgt und deshalb aus allen Kräften bemüht, den Bauernaufstand in das Bett bürgerlicher Legalität zu lenken.
    In gleicher Richtung wirkten lange vor der Revolution noch andere Faktoren. Aus der Mitte des Adels selbst erstehen Prediger der Versöhnung. Leo Tolstoi hat tiefer als sonst einer in die Seele des Muschiks geblickt. Seine Philosophie des dem Übel Nichtwiderstrebens war die Verallgemeinerung der ersten Etappe der Muschik-Revolution. Tolstoi träumte davon, daß alles "ohne Raub, in beiderseitigem Einvernehmen" geschehen möge. Diese Taktik unterbaute er mit einem religiösen Fundament, in der Form eines geläuterten Christentums. Mahatma Gandhi erfüllte in Indien die gleiche Mission, nur in einer praktischeren Form. Gehen wir weit in die Vergangenheit zurück, dann finden wir mühelos eben diese angeblich in der Geschichte "nie dagewesenen" Erscheinungen unter den verschiedensten religiösen, nationalen, philosophischen und politischen Hüllen, angefangen mit der biblischen Zeit und vor ihr.
    Die Eigenart des Bauernaufstandes von 1917 bestand höchstens darin, daß als Agenten der bürgerlichen Gesetzlichkeit Menschen auftraten, die sich Sozialisten, ja sogar Revolutionäre nannten.
    Doch nicht sie bestimmten den Charakter der Bauernbewegung und ihren Rhythmus. Die Bauern gingen mit den Sozialrevolutionären nur insofern,

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