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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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als sie von diesen fertige Formeln für die Abrechnung mit dem Gutsbesitzer entlehnten. Gleichzeitig dienten ihnen die Sozialrevolutionäre als juristische Deckung. War es doch die Partei Kerenskis, des Justiz-und dann Kriegsministers, und Tschernows, des Ackerbauministers. Die Verzögerung des Erlasses notwendiger Dekrete erklärten die Sozialrevolutionäre der Bezirks- und Kreiskomitees mit dem Widerstand der Gutsbesitzer und Liberalen und versicherten den Bauern, daß "Unsere" in der Regierung sich alle Mühe gäben. Dagegen vermochte der Mu-schik natürlich nichts einzuwenden. Da er aber keinesfalls an rührender Vertrauensseligkeit litt, hielt er es für nötig, den "Unseren" von unten nachzuhelfen, und er tat das so gründlich, daß "Unseren" oben bald alle Gelenke krachten.
    Die Schwäche der Bolschewiki in Beziehung zur Bauernschaft war vorübergehend und dadurch hervorgerufen, daß sie die Illusionen der Bauern nicht teilten. Das Dorf konnte nur durch Erfahrung und Enttäuschungen zum Bolschewismus kommen. Die Stärke der Bolschewiki bestand darin, daß bei ihnen in der Agrarfrage, wie auch in den anderen, kein Widerspruch zwischen Wort und Tat herrschte.
    Allgemeine soziologische Erwägungen erlaubten nicht, a priori zu entscheiden, ob die Bauernschaft als Ganzes fähig sei, sich gegen die Gutsbesitzer zu erheben. Das Anwachsen der kapitalistischen Tendenzen in der Landwirtschaft in der Periode zwischen den zwei Revolutionen; die Aussonderung einer festen Farmerschicht aus der Urgemeinschaft; die außerordentliche Zunahme der von wohlhabenden und reichen Bauern geleiteten Dorfkooperationen, all das erlaubte nicht, von vornherein mit Bestimmtheit zu sagen, welche der zwei Tendenzen in der Revolution überwiegen werde: der ständisch-ländliche Antagonismus zwischen Bauernschaft und Adel oder der Klassenantagonismus innerhalb der Bauernschaft selbst.
    Lenin nahm nach seiner Ankunft eine äußerst vorsichtige Position in dieser Frage ein. "Die Agrarbewegung", sagte er am 14. April, "ist nur Prognose, aber keine Tatsache ... Man muß aber mit der Möglichkeit rechnen, daß die Bauernschaft sich mit der Bourgeoisie verbündet." Das ist kein zufällig hingeworfener Gedanke. Im Gegenteil, Lenin wiederholt ihn beharrlich, bei verschiedenen Anlässen: auf der Parteikonferenz äußert er sich am 24. April in seiner Rede gegen die "alten Bolschewiki", die ihn der Unterschätzung der Bauernschaft beschuldigten: "Es ist einer proletarischen Partei nicht erlaubt, jetzt Hoffnungen auf die Gemeinsamkeit der Interessen mit der Bauernschaft zu setzen. Wir kämpfen dafür, daß die Bauernschaft auf unsere Seite trete, sie steht aber, bis zu einem gewissen Grade bewußt, auf seiten der Kapitalisten." Das zeigt übrigens, wie weit Lenin entfernt war von der Theorie der ewigen Interessenharmonie zwischen Proletariat und Bauernschaft, die die Epigonen ihm später zuschrieben. Indem er mit der Möglichkeit rechnete, daß die Bauernschaft "als Stand" noch als revolutionärer Faktor auftreten werde, bereitete sich Lenin jedoch im April auf die schlimmere Variante, den stabilen Block der Gutsbesitzer, Bourgeoisie und breiten Bauernschichten vor. "Den Muschik jetzt gewinnen wollen", sagte er, "heißt, sich der Gnade Miljukows ausliefern." Daraus die Schlußfolgerung: "Das Schwergewicht auf die Sowjets der Landarbeiterdeputierten verlegen."
    Doch es hat sich die bessere Variante verwirklicht. Die Agrarbewegung wurde aus einer Prognose Tatsache und zeigte für einen kurzen Augenblick, dafür aber mit außerordentlicher Schärfe, das Übergewicht der ständisch-bäuerlichen Beziehungen über den kapitalistischen Antagonismus. Die Sowjets der Landarbeiterdeputierten gewannen nur an wenigen Orten Bedeutung, hauptsächlich in den baltischen Provinzen. Dagegen wurden die Landkomitees zu Organen der g3-samten Bauernschaft, die sie durch den Druck ihres Schwergewichts aus Friedenskammern in Werkzeuge der Agrarrevolution umwandelten.
    Die Tatsache, daß die Bauernschaft in ihrer Gesamtheit noch einmal, zum letztenmal in ihrer Geschichte, die Möglichkeit erhielt, als revolutionärer Faktor aufzutreten, beweist gleichzeitig sowohl die Schwäche der kapitalistischen Beziehungen im Dorfe, wie auch deren Stärke. Die bürgerliche Ökonomik hatte bei weitem noch nicht Zeit gefunden, die mittelalterlich-knechtischen Bodenbeziehungen aufzusaugen. Gleichzeitig aber schritt die kapitalistische Entwicklung so weit vorwärts, daß sie die alten Formen des

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