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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Bodenbesitzes für alle Schichten des Dorfes gleichermaßen unerträglich gestaltete. Die Verflechtung der gutsherrlichen Besitztümer mit den bäuerlichen, nicht selten mit Vorbedacht so konstruiert, daß die gutsherrlichen Rechte zu einer Falle für die ganze Gemeinde wurden, die erschreckende Zerrissenheit des Ackerlandes, schließlich der neue Antagonismus zwischen Bodengemeinschaft und Individualsiedlern, das alles zusammen schuf den unerträglichen Wirrwarr der Bodenbeziehungen, aus dem es auf dem Wege gesetzlicher Teilmaßnahmen kein Entrinnen gab. Die Bauern fühlten das besser als alle Agrartheoretiker. Die Lebenserfahrung, sich wandelnd in der Reihe der Generationen, führte sie alle zum gleichen Schluß: man muß die ererbten und erworbenen Rechte auf Land austilgen, alle Marksteine umwerfen und diesen von historischen Überlieferungen gereinigten Boden jenen übergeben, die ihn bearbeiten. Dies war der Sinn der Muschik-Aphorismen: das Land gehört niemand, das Land ist Gott, - und im gleichen Sinne deutete die Bauernschaft das sozialrevolutionäre Programm der Sozialisierung des Bodens Den Theorien der Narodniki zuwider gab es hier keine Spur von Sozialismus. Die kühnste Agrarrevolution ging an und für sich über den Rahmen der bürgerlichen Gesellschaftsordnung nicht hinaus. Die Sozialisierung, die angeblich jedem Werktätigen "Recht auf Land" sichern sollte, bildete bei Aufrechterhaltung uneingeschränkter Marktbeziehungen eine offensichtliche Utopie. Der Menschewismus kritisierte diese Utopie unter bürgerlich-liberalem Gesichtswinkel. Der Bolschewismus dagegen deckte jene progressiv-demokratische Tendenz auf, die in der Theorie der Sozialrevolutionäre einen utopischen Ausdruck fand. Die Aufdeckung des wahren historischen Sinnes des russischen Agrarproblems bildet eines der größten Verdienste Lenins.
    Miljukow schrieb, daß für ihn, als "Soziologen und Forscher der russischen historischen Evolution", das heißt als Menschen, der die Geschehnisse von großen Höhen herab betrachtet, "Lenin und Trotzki eine Bewegung verkörpern, die Pugatschew, Rasin und Bolotnikow - dem 17. und 18. Jahrhundert unserer Geschichte - viel näher steht als den letzten Worten des europäischen Anarchosyndikalismus". Jenes Körnchen Wahrheit, das in dieser Behauptung des liberalen Soziologen enthalten ist - läßt man den unbekannt wozu herangezogenen "Anarchosyndikalismus" beiseite -, richtet sich nicht gegen die Bolschewiki, sondern eher schon gegen die russische Bourgeoisie, ihr Zuspätkommen, ihre politische Bedeutungslosigkeit. Es ist nicht Schuld der Bolschewiki, daß die grandiosen Bauernbewegungen der vergangenen Jahrhunderte nicht zur Demokratisierung der sozialen Verhältnisse in Rußland geführt hatten - ohne die Führung der Städte konnte dies nicht verwirklicht werden! -, wie es nicht Schuld der Bolschewiki ist, daß die sogenannte Bauernbefreiung im Jahre 1861 durch Diebstahl von Gemeindeboden, Versklavung der Bauern an den Staat und völlige Aufrechterhaltung der Ständeordnung vollzogen wurde. Eines ist richtig: die Bolschewiki waren gezwungen, im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts das zu. Ende zu führen, was im 17., 18. und 19. Jahrhundert nicht zu Ende geführt oder überhaupt nicht unternommen worden war. Bevor die Bolschewiki an ihre eigene große Aufgabe herangehen konnten, mußten sie den Boden vom historischen Schutt der alten herrschenden Klassen und alten Jahrhunderte säubern, wobei sie sich dieser dringenden Aufgabe jedenfalls sehr gewissenhaft entledigten. Dies wird wohl auch Miljukow jetzt kaum zu bestreiten wagen.
    Fußnote von Trotzki
    1. "Mir" bedeutet Russisch sowohl die "Dorfgemeinschaft" wie die "Welt".

Kapitel 21: Verschiebungen in den Massen
    Im vierten Monat seines Bestehens würgte das Februarregime bereits an seinen eigenen Widersprüchen. Der Juni begann mit dem Allrussischen Rätekongreß, der die Aufgabe hatte, politische Deckung für die Offensive an der Front zu schaffen. In Petrograd fiel der Beginn der Offensive mit einer grandiosen Demonstration der Arbeiter und Soldaten zusammen, die von den Versöhnlern gegen die Bolschewiki organisiert worden war, aber in eine bolschewistische Da-monstration gegen die Versöhnler umschlug. Die wachsende Empörung der Massen rief zwei Wochen später eine neue Demonstration hervor, die, ohne Aufforderung von oben ausgebrochen, zu blutigen Zusammenstößen führte und unter dem Namen "Julitage" in die Geschichte eingegangen ist. Der

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