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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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halbe Aufstand vom Juli, der genau in der Mitte zwischen Februar- und Oktoberrevolution liegt, schließt die erstere ab und ist gewissermaßen die Generalprobe zur zweiten. An der Schwelle der "Julitage" beenden wir diesen Band. bevor wir aber zu den Ereignissen übergehen, deren Schauplatz Petrograd im Juni war, ist es notwendig, die Prozesse, die sich in den Massen vollzogen, zu untersuchen. Einem Liberalen, der Anfang Mai behauptet hatte, daß je linker die Regierung, um so rechter das Land werde - unter Land verstand der Liberale selbstredend die besitzenden Klassen -, erwiderte Lenin: "Ich versichere Ihnen, Bürger, das "Land" der Arbeiter und armen Bauern ist an die tausend Mai linker als die Tschernow und Zeretelli und an die hundert Mal linker als wir. Wenn Sie leben werden, werden Sie es sehen." Lenin war der Meinung, daß die Arbeiter und Bauern "an die hundert Mal" linker waren als die Bolschewiki. Das konnte zumindest unbegründet erscheinen: die Arbeiter und Soldaten unterstützten doch noch die Versöhnler und hielten sich in ihrer Mehrheit von den Bolschewiki zurück. Lenin aber schürfte tiefer. Die sozialen Interessen der Massen, ihr Haß und ihre Hoffnungen suchten erst einen Ausdruck. Das Versöhnlertum war für sie die erste Etappe. Die Massen waren unermeßlich linker als die Tschernow und Zeretelli, aber ihres Radikalismus' noch selbst nicht bewußt. Lenin hatte auch darin recht, daß die Massen linker waren als die Bolschewiki, denn in ihrer überwiegenden Mehrheit legte die Partei sich nicht Rechnung über die Wucht der revolutionären Leidenschaften ab, die in den Tiefen des erwachten Volkes brodelten. Die Empörung der Massen wurde durch die Verschleppung des Krieges, den Wirtschaftsverfall und die böswillige Untätigkeit der Regierung genährt.
    Die unendliche europäisch-asiatische Ebene war nur dank den Eisenbahnen zu einem Lande geworden. Der Krieg hatte am allerschwersten diese getroffen. Der Transport verfiel immer mehr. Die Zahl der kranken Lokomotiven erreichte auf gewissen Strecken 50%. Im Hauptquartier wurden von gelehrten Ingenieuren Referate darüber gehalten, daß der Eisenbahntransport in spätestens einem halben Jahre den Zustand völliger Paralyse erreicht haben werde. Diese Berechnungen enthielten zu nicht geringem Teil die vorsätzliche Absicht, Panik zu säen. Immerhin hatte der Zerfall des Transportes bedrohliche Dimensionen erreicht, versperrte die Strecken, desorganisierte den Warenverkehr und schürte die Teuerung.
    Immer schwieriger gestaltete sich die Verpflegung der Städte Die Agrarbewegung hatte bereits 43 Gouvernements erfaßt. Der Brotzustrom für Armee und Stadt verringerte sich katastrophal. In den fruchtbarsten Landgebieten gab es allerdings noch Dutzende und Hunderte Millionen Pud überflüssigen Getreides. Doch die Einkaufsoperationen zu festen Preisen ergaben äußerst unzureichende Resultate; selbst das bereitgestellte Getreide war infolge der Transportzerrüttung schwer in die Zentren zu schaffen. Seit Herbst 1916 erhielt die Front durchschnittlich nur die Hälfte der festgelegten Proviantfrachten. Auf Petrograd, Moskau und andere Industriezentren entfielen nicht mehr als 10% des Notwendigen. Vorräte gab es fast nicht. Das Lebensniveau der städtischen Massen schwankte zwischen Unterernährung und Hunger. Der Antritt der Koalitionsregierung tat sich durch das demokratische Verbot kund, Weißbrot zu backen. Mehrere Jahre werden nun vergehen, bis das "französische Brot" wieder in der Hauptstadt auftaucht. Es fehlte Butter. Im Juni wurde der Zuckerverbrauch durch Rationierung im ganzen Lande eingeschränkt.
    Der durch den Krieg zerschlagene Marktmechanismus war nicht durch jene staatliche Regulierung ersetzt worden, zu der die fortgeschrittensten kapitalistischen Staaten hatten Zuflucht nehmen müssen und die es allein Deutschland ermöglichte, die vier Kriegsjahre durchzuhalten.
    Katastrophale Symptome des Wirtschaftszerfalls zeigten sich bei jedem Schritt. Das Sinken der Produktivität der Ba-triebe wurde hervorgerufen, abgesehen von der Transportzerrüttung, durch Abnutzung der Maschinen, Mangel an Rohstoffen und Hilfsmaterial, Fluktuation des Menschenbestandes, unregelmäßige Finanzierung und schließlich durch allgemeine Unsicherheit. In alter Weise arbeiteten die wesentlichsten Betriebe für den Krieg. Die Aufträge. waren für zwei, drei Jahre im voraus verteilt worden. Die Arbeiter indes wollten nicht an eine Fortdauer des Krieges glauben.

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