Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
Vom Netzwerk:
heraufbeschwören. Man mußte aus der entstandenen Lage einen passenden Ausweg finden. Zu eben diesem Zwecke reiste Trotzki nach Kronstadt, wo er im Sowjet auftrat und eine Deklaration verfaßte, die vom Sowjet und später, von Trotzki eingebracht, vom Meeting auf dem Ankerplatz einstimmig angenommen wurde." Die Kronstädter wahrten ihre prinzipielle Position und gaben in praktischen Fragen nach.
    Die friedliche Beilegung des Konfliktes brachte die bürgerliche Presse ganz außer Rand und Band: in der Festung herrsche Anarchie, die Kronstädter druckten eigenes Geld - phantastische Abbildungen wurden in den Zeitungen reproduziert -, Staatsgut werde gestohlen, Frauen vergesellschaftet, Plünderungen und Trinker-Orgien veranstaltet. Die Seeleu-te, auf ihre strenge Ordnung stolz, ballten die schwieligen Fäuste beim Lesen der Zeitungen, die in Millionen Exemplaren die Verleumdungen gegen sie über ganz Rußland verbreiteten.
    Perewersews Gerichtsorgane entließen die ihnen übergebenen Kronstädter Offiziere einen nach dem anderen. Es wäre sehr lehrreich, festzustellen, wer von den Freigelassenen später am Bürgerkrieg teilnahm und wie viele Matrosen, Soldaten, Arbeiter und Bauern von ihnen erschossen und aufgehängt wurden. Leider sind wir nicht in der Lage, diese lehrreiche Statistik hier aufzustellen.
    Die Autorität der Regierung war gerettet. Doch erhielten die Matrosen bald Genugtuung für die erlittenen Kränkungen. Von allen Enden des Landes trafen Begrüßungsresolutionen an das rote Kronstadt ein: von einzelnen linkeren Sowjets, von Betrieben, Regimentern, Meetings. Das erste Maschinengewehrregiment demonstrierte in den Straßen Petrograds in voller Stärke seine Achtung für die Kronstädter, "für ihre standhafte Position des Mißtrauens gegen die Provisorische Regierung".
    Kronstadt aber bereitete sich auf ernsthaftere Revanche vor. Die Hetze der bürgerlichen Presse machte es zu einem Faktor von gesamtstaatlicher Bedeutung. "In Kronstadt sich verschanzend", schreibt Miljukow, "warf der Bolschewismus mit Hilfe sachgemäß ausgebildeter Agitatoren seine Propagandahetze weit über Rußland aus. Kronstädter Emissäre wurden auch an die Front geschickt, wo sie die Disziplin untergruben, in die Etappe und aufs Land, wo sie Pogrome gegen die Güter anzettelten. Der Kronstädter Sowjet versah die Emissäre mit besonderen Legitimationen: "N.N. wird in das ... Gouvernement geschickt, um an den Sitzungen der Kreis-, Bezirks- und Dorfkomitees mit beschließender Stimme teilzunehmen, wie auch Meetings zu besuchen und solche an beliebigem Ort nach eigenem Ermessen einzuberufen", mit "dem Recht des Waffentragens und freier und unentgeltlicher Fahrt auf allen Eisenbahnen und Dampfern". Wobei die "Unantastbarkeit der Person des bezeichneten Agitators vom Sowjet der Stadt Kronstadt garantiert wird"." Indem er die Wühlarbeit der baltischen Seeleute entlarvt, vergißt Miljukow nur, zu erklären, wie und weshalb es kommen konnte, daß einzelne Matrosen, ausgerüstet mit dem seltsamen Mandat des Kronstädter Sowjets, trotz des Vorhandenseins allweiser Behörden, Institutionen und Zeitungen unbehelligt im ganzen Lande herumreisten, allerorts Tisch und Herd fanden, zu jeglichen Volksversammlungen zugelassen, überall aufmerksam angehört wurden und den historischen Ereignissen den Stempel der Matrosenhand aufdrückten. Der die liberale Politik bedienende Historiker stellt sich diese einfache Frage erst gar nicht. Indes war das Kronstädter Wunder nur deshalb denkbar, weil die Matrosen viel tiefer die Bedürfnisse der historischen Entwicklung ausdrückten als die sehr gescheiten Professoren. Das halbanalphabetische Mandat erwies sich, um mit Hegel zu sprechen, wirksam, weil es vernünftig war. Die subjektiv klügsten Pläne dagegen erwiesen sich als illusorisch, denn die Vernunft der Geschichte hatte in ihnen auch nicht einmal übernachtet.
    Die Sowjets blieben hinter den Betriebskomitees zurück. Die Betriebskomitees hinter den Massen. Die Soldaten hinter den Arbeitern. In noch höherem Maße blieb die Provinz hinter der Hauptstadt zurück. Dies ist die unvermeidliche Dynamik des revolutionären Prozesses, die tausend Widersprüche erzeugt, um sie dann gleichsam zufällig, im Vorbeigehen, spielend zu überwinden und sogleich neue zu erzeugen. Hinter der revolutionären Dynamik blieb auch die Partei zurück, das heißt jene Organisation, die am allerwenigsten das Recht besitzt, zurückzubleiben, besonders in der Revolution. In

Weitere Kostenlose Bücher