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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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die Leninisten. Das Wort "Bolschewik" wurde das Synonym für alles höllischen Ursprungs. Wie die zaristischen Kommandeure vor der Revolution die Verantwortung für alle Mißgeschicke, darunter auch für die eigene Dummheit, auf deutsche Spione und besonders auf die Juden abwälzten, so wurde jetzt, nach dem Zusammenbruch der Junioffensive, die Schuld für alle Mißerfolge und Niederlagen auf die Bol-schewiki geschoben. Darin unterschieden sich die Demokraten vorn Typ Kerenskis und Zeretellis fast nicht von den Liberalen vom Typ Miljukows und den offenen Leibeigenschaftsanhängern von der Art des Generals Denikin.
    Wie immer, wenn die Widersprüche bis zum äußersten gespannt sind, der Moment der Explosion jedoch noch nicht gekommen ist, zeigte sich die politische Kräftegruppierung unverhüllter und krasser nicht an grundlegenden, sondern an zufälligen und nebensächlichen Fragen. Als einer der Blitzableiter der politischen Leidenschaften diente in jenen Wochen Kronstadt. Die alte Festung, die der treueste Wachtposten am Seetore der kaiserlichen Hauptstadt sein sollte, hatte in der Vergangenheit mehr als einmal das Banner des Aufstandes erhoben. Trotz der unbarmherzigen Strafen erlosch in Kronstadt die Flamme des Aufruhrs nie. Sie entbrannte bedrohlich nach der Umwälzung. Der Name der Seefestung wurde in den Spalten der patriotischen Presse bald das Synonym für die schlechtesten Seiten der Revolution, das heißt für Bolschewismus. In Wirklichkeit war der Kronstädter Sowjet noch nicht bolschewistisch: im Mai setzte er sich aus 107 Bolschewiki, 112 Sozialrevolutionären, 30 Menschewiki und 97 Parteilosen zusammen. Allerdings waren es Kronstädter Sozialrevolutionäre und Kronstädter Parteilose, die unter hohem Druck lebten: in ihrer Mehrzahl gingen sie in wichtigen Fragen mit den Bolschewiki.
    Auf dem Gebiete der Politik neigten die Kronstädter Matrosen weder zu Manövern noch zu Diplomatie. Sie hatten eine eigene Regel: gesagt - getan. Es ist darum nicht verwunderlich, daß sie in bezug auf die gespensterhafte Regierung für vereinfachte Aktionsmethoden waren. Am 13. Mai bestimmte der Sowjet: "Die einzige Macht in Kronstadt bildet der Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten."
    Die Entfernung des Regierungskommissars, des Kadetten Pepelajew, der die Rolle eines fünften Rades am Wagen spielte, vollzog sich in der Festung vollkommen unbeachtet. Musterhafte Ordnung blieb bewahrt. In der Stadt wurde das Kartenspiel verboten, die Spelunken geschlossen oder ausgehoben. Unter Strafe der "Konfiszierung des Eigentums und der sofortigen Abschiebung zur Front" verbot der Sowjet, in betrunkenem Zustande auf der Straße zu erscheinen. Diese Strafe wurde mehrmals angewandt.
    Unter dem schrecklichen Regime der zaristischen Flotte und der Seefestung gestählt, an schwere Arbeit, an Opfer, aber auch an Exzesse gewöhnt, spannten die Matrosen jetzt, wo sich vor ihnen der Vorhang eines neuen Lebens geöffnet hatte, in dem sie sich als die zukünftigen Herren fühlten, alle ihre Kräfte an, um sich der Revolution würdig zu erweisen. Gierig stürzten sie sich in Petrograd auf Freunde und Gegner und schleppten sie fast gewaltsam nach Kronstadt, um ihnen zu zeigen, wie revolutionäre Seeleute in Wirklichkeit sind. Eine solche moralische Anspannung konnte selbstverständlich nicht ewig dauern, aber sie reichte für lange Zeit. Die Kronstädter Seeleute verwandelten sich in eine Art Kampforden der Revolution. Aber welcher? Jedenfalls nicht jener, die Minister Zeretelli mit seinem Kommissar
    Pepelajew verkörperte. Kronstadt stand da wie ein Verkünder der heranrückenden zweiten Revolution. Deshalb wurde es von all jenen gehaßt, die übergenug an der ersten hatten.
    Die friedliche und unauffällige Absetzung Pepelajews schilderte die Ordnungspresse fast wie einen bewaffneten Aufstand gegen die Staatseinheit. Die Regierung beschwerte sich beim Sowjet. Der Sowjet entsandte sofort zur Beeinflussung der Matrosen eine Delegation. Knarrend kam die Maschine der Doppelherrschaft in Bewegung. Unter Teilnahme von Zeretelli und Skobeljew erklärte sich der Kronstädter Sowjet am 24. Mai auf Drängen der Bolschewiki bereit, anzuerkennen, daß er, den Kampf um die Sowjetmacht fortsetzend, praktisch verpflichtet sei, sich der Provisorischen Regierung zu fügen, solange die Sowjetmacht nicht im ganzen Lande errichtet sei. Aber bereits am nächsten Tage erklärte der Sowjet unter dem Druck der über diese Nachgiebigkeit empörten Matrosen,

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