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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Autoren: Leo Trotzki
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beantragte der Vertreter der Menschewiki völlig überraschend, am nächsten Sonntag, dem 18. Juni, in Petrograd und den wichtigsten Städten eine Kundgebung der Arbeiter und Soldaten zu veranstalten, um den Feinden die Einheit und Macht der Demokratie zu zeigen. Der Antrag wurde, wenn auch nicht ohne Staunen, angenommen. Nach mehr als einem Monat erklärte Milju-kow ziemlich eingehend die unerwartete Wendung der Versöhnler: "Während sie auf dem Sowjetkongreß kadettische Reden hielten und die bewaffnete Demonstration am 10. Juni zum Scheitern brachte ... fühlten die Minister-Sozialisten, daß sie in der Annäherung an uns zu weit gegangen waren und daß der Boden unter ihren Füßen zu schwinden begann. Sie bekamen Angst und machten schroff kehrt in die Richtung der Bolschewiki." Der Beschluß zur Demonstration vom 18. Juni war selbstverständlich keine Wendung zu den Bolschewiki hin, sondern der Versuch einer Wendung zu den Aufrüttelung der Sowjetspitzen geführt: so wurde, im Gegensatz zu dem, was beim Beginn des Kongresses geplant war, im Namen der Regierung eiligst eine Verfügung über die Auflösung der Reichsduma und die Einberufung der Konstituierenden Versammlung für den 30. September erlassen. Die Parolen für die Demonstration wurden mit der Berechnung gewählt, die Massen nicht zu reizen: "Allgemeiner Friede", "Schnellste Einberufung der Konstituierenden Versammlung", "Demokratische Republik". Sowohl über Offensive wie Koalition kein Wort. In der Prawda fragte Lenin: "Und wo bleibt das volle Vertrauen zur Provisorischen Regierung, ihr Herren? ... Weshalb bleibt euch die Zunge am Gaumen kleben?" Diese Ironie traf das Ziel: die Versöhnler hatten es nicht gewagt, von den Massen Vertrauen für jene Regierung zu fordern, der sie angehörten.
    Sowjetdelegierte, die zum zweitenmal die Arbeiterviertel und Kasernen besuchten, erstatteten dem Exekutivkomitee am Vorabend der Demonstration zuversichtliche Berichte. Zeretelli, dem diese Berichte das Gleichgewicht und die Vorliebe für selbstzufriedene Belehrungen wiedergegeben hatten, wandte sich an die Bolschewiki: "Nunmehr stehen wir vor der offenen und ehrlichen Heeresschau der revolutionären Kräfte ... Jetzt werden wir alle sehen, mit wem die Mehrheit geht, mit uns oder mit euch." Die Bolschewiki hatten die Herausforderung angenommen, noch ehe sie so unvorsichtig formuliert worden war. "Wir werden am 18. zur Demonstration gehen", schrieb die Prawda, "um für die gleichen Ziele zu kämpfen, für die wir am 10. demonstrieren wollten."
    Offenbar in Erinnerung an die Beerdigungsprozession vom März, die wenigstens äußerlich die größte Kundgebung für die Einheit der Demokratie gewesen war, führte die Marschroute auch diesmal zum Marsfeld, zu den Gräbern der Februaropfer. Außer der Marschroute erinnerte aber nichts mehr an die fernen Märztage. Am Zuge beteiligten sich etwa
    400.000 Menschen, das heißt bedeutend weniger als an der Beerdigung: bei dieser Sowjetdemonstration fehlte nicht nur die Bourgeoisie, mit der die Sowjets in einer Koalition waren, sondern auch die radikale Intelligenz, die an den früheren Paraden der Demokratie so hervorragend beteiligt gewesen war. Es marschierten fast ausschließlich Betriebe und Kasernen.
    Die auf dem Marsfeld versammelten Sowjetdelegierten lasen und zählten die Plakate. Die ersten bolschewistischen Parolen wurden halb ironisch aufgenommen. Hatte doch Zeretelli am Vorabend seine Herausforderung so zuversichtlich hingeworfen. Doch die gleichen Parolen wiederholten sich fortwährend. "Nieder mit den zehn Minister-Kapitalisten", "Nieder mit der Offensive", "Alle Macht den Sowjets", das ironische Lächeln erstarrte auf den Gesichtern, um später völlig zu verschwinden. Die bolschewistischen Banner nahmen kein Ende. Die Delegierten gaben das undankbare Zählen auf Der Sieg der Bolschewiki war zu offensichtlich. "Ab und zu", schreibt Suchanow, "wurde die Kette der bolschewistischen Banner und Kolonnen durch spezifisch sozialrevolutionäre oder offizielle Sowjetparolen unterbrochen. Sie gingen aber in der Masse unter." Der Sowjetoffiziosus berichtete am nächsten Tag, mit welcher "Wut man hie und da Banner mit den Parolen des Vertrauens für die Provisorische Regierung in Stücke zerriß". Diese Worte enthalten ein unverkennbares Element der Übertreibung. Plakate zu Ehren der Provisorischen Regierung wurden nur von drei kleineren Gruppen getragen: dem Kreis Plechanows, einer Kosakenabteilung und einem Häuflein
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