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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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beschloß es, nicht zum Streik aufzurufen, sondern Vorbereitungen zu treffen für ein Hervortreten in einer unbestimmten Zukunft. Diese Linie vertrat das Komitee am Vorabend des 23. Februar, und es schien, daß alle sie billigten. Am andern Morgen jedoch traten den Direktiven zuwider die Textilarbeiterinnen einiger Fabriken in den Ausstand und entsandten Delegierte zu den Metallarbeitern mit der Aufforderung, den Streik zu unterstützen. "Schweren Herzens", schreibt Kajurow, gingen die Bolschewiki darauf ein, denen sich die menschewistischen und sozialrevolutionären Arbeiter anschlossen. Wenn aber Massenstreik, dann müsse man alle auf die Straße rufen und sich selbst an die Spitze stellen: diesen Beschluß setzte Kajurow durch, und das Wyborger Komitee mußte ihm beistimmen. "Der Gedanke an eine Aktion reifte in den Arbeitern schon längst, nur ahnte in diesem Augenblick niemand, welche Formen sie annehmen würde." Merken wir uns dieses Zeugnis eines Teilnehmers, das für das Verständnis der Mechanik der Ereignisse sehr wichtig ist.
    Es galt von vornherein für unzweifelhaft, daß im Falle einer Demonstration die Soldaten aus den Kasernen gegen die Arbeiter auf die Straße geführt werden würden. Was wäre die Folge gewesen? Es ist Krieg, die Behörden sind zu Späßen nicht aufgelegt. Andererseits - der "Reservist" im Kriege ist nicht der alte Soldat der Kaderarmee. Ist er so gefährlich? Dieses Thema wurde in revolutionären Kreisen zwar viel besprochen, doch mehr abstrakt, denn niemand, buchstäblich niemand - das darf man auf Grund des gesamten vorhandenen Materials kategorisch behaupten - dachte damals daran, daß der 23. Februar zum Ausgangspunkte des entscheidenden Angriffs auf den Absolutismus werden sollte. Es war die Rede von einer Demonstration mit unbestimmten, jedenfalls aber beschränkten Perspektiven.
    Die Tatsache bleibt also bestehen, daß die Februarrevolution von unten begann nach Überwindung der Widerstände der eigenen revolutionären Organisationen, wobei die Initiative von dem am meisten unterdrückten und unterjochten Teil des Proletariats, den Textilarbeiterinnen, unter denen, wie man sich denken kann, nicht wenig Soldatenfrauen waren, spontan ergriffen wurde. Den letzten Anstoß gaben die immer länger werdenden Brotschlangen. Ungefähr 90.000 Arbeiterinnen und Arbeiter streikten an diesem Tage. Die Kampfstimmung entlud sich in Demonstrationen, Versammlungen und Zusammenstößen mit der Polizei. Die Bewegung entwickelte sich im Wyborger Bezirk mit seinen großen Betrieben, von wo sie auf die Petersburger Seite übersprang. In den übrigen Stadtteilen gab es nach dem Zeugnis der Ochrana keine Streiks und keine Demonstrationen. An diesem Tage zog man bereits Truppenteile, wenn auch in geringer Zahl, zur Unterstützung der Polizei heran, es kam aber nicht zu Zusammenstößen mit ihnen. Eine große Menge Frauen, und zwar nicht nur Arbeiterinnen, zog zur Stadtduma mit der Forderung nach Brot. Das war dasselbe, wie von einem Bock Milch zu verlangen. Es tauchten in verschiedenen Stadtteilen rote Banner auf, deren Aufschriften besagten, daß die Werktätigen Brot wollen, aber nicht mehr das Selbstherrschertum und den Krieg. Der Frauentag verlief erfolgreich, mit Schwung und ohne Opfer. Was er aber in sich barg, das ahnte am Abend noch niemand.
    Am nächsten Tage flaut die Bewegung nicht nur nicht ab, sondern wächst enorm an. Etwa die Hälfte der Industriearbeiter Petrograds streikt am 24. Februar. Die Arbeiter erscheinen morgens in den Betrieben, gehen jedoch nicht an die Arbeit, sondern veranstalten Versammlungen und bilden Züge, die in das Stadtzentrum marschieren. Neue Stadtbezirke und neue Gruppen der Bevölkerung werden in die Bewegung einbezogen. Die Parole "Brot" wird verdrängt und überdeckt von den Parolen "Nieder mit dem Selbstherrschertum", "Nieder mit dem Krieg". Ununterbrochene Demonstrationen auf dem Newski-Prospekt: Zuerst kompakte Arbeitermassen, revolutionäre Lieder singend, später erscheint die bunte städtische Menge, in ihr die blauen Mützen der Studenten. "Das spazierende Publikum benahm sich uns gegenüber wohlwollend, aus einigen Lazaretten winkten uns Soldaten zu." Ob sich viele klar darüber waren, was das mit den demonstrierenden Arbeitern sympathisierende Zuwinken der kranken Soldaten in sich barg? Allerdings attackierten die Kosaken die Menge ununterbrochen, wenn auch nicht erbittert; ihre Pferde waren schaumbedeckt; die Demonstranten wichen auseinander,

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