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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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schlossen sich jedoch gleich wieder zusammen. Angst herrschte in der Menge nicht. "Die Kosaken versprechen, nicht zu schießen", ging es von Mund zu Mund. Offenbar ließen die Arbeiter sich mit einzelnen Kosaken in Gespräche ein. Später aber tauchten schimpfend halbbetrunkene Dragoner auf, ritten in die Menge hinein und schlugen mit den Lanzen auf die Köpfe. Die Demonstranten hielten mit aller Kraft stand, ohne auseinanderzulaufen. "Man wird nicht schießen." Man schoß tatsächlich nicht.
    Ein liberaler Senator beobachtete in den Straßen die leeren Trams - oder war es am nächsten Tag, und das Gedächtnis hatte ihn im Stich gelassen? -, manche mit zerschlagenen Scheiben, andere umgeworfen, quer über die Schienen auf der
    Erde. Er gedachte der Julitage 1914, des Vorabends des Krieges. "Es schien, als wiederhole sich der alte Versuch." Den Senator hatte sein Blick nicht getäuscht - die Fortsetzung war unverkennbar: Die Geschichte erfaßte die Enden des durch den Krieg zerrissenen revolutionären Fadens und verband sie durch einen Knoten.
    Den ganzen Tag ergossen sich Volksmassen aus einem Stadtteil in den anderen, wurden von der Polizei energisch auseinandergetrieben, von Kavallerie -, teils auch Infanterieabteilungen aufgehalten und zurückgedrängt. Neben den Rufen "Nieder mit der Polizei" erscholl immer häufiger ein "Hurra!" auf die Kosaken. Das war bezeichnend. Gegen die Polizei war die Menge von wildem Haß erfüllt. Die berittenen Schutzleute empfing man mit Pfiffen, Steinen und Eisstük-ken. Anders gingen die Arbeiter an die Soldaten heran. An Kasernen, neben Wachtposten, Patrouillen und Sperrketten standen Gruppen von Arbeitern und Arbeiterinnen; es flogen freundschaftliche Worte hin und her. Das war eine neue Etappe, sie war die Folge der anwachsenden Streiks und der Konfrontierung der Arbeiter mit der Armee. Eine solche Etappe ist in jeder Revolution unvermeidlich. Aber sie wirkt jedesmal neu und tritt auch in der Tat jedesmal auf neue Art auf: Menschen, die über sie gelesen und sogar geschrieben haben, erkennen sie von Angesicht zu Angesicht nicht.
    In der Reichsduma erzählte man an diesem Tage, der ganze Snamenski-Platz, der ganze Newski-Prospekt und alle anliegenden Straßen seien von einer ungeheuren Volksmenge überflutet und man beobachte eine ganz ungewöhnliche Erscheinung: Die revolutionäre, nicht die patriotische Menge habe die Kosaken und die mit Musik marschierenden Regimenter mit "Hurra"-Rufen empfangen. Auf die Frage, was dies alles bedeute, antwortete der erstbeste Passant einem Deputierten: "Ein Polizist hat eine Frau mit der Nagajka geschlagen, die Kosaken griffen ein und vertrieben die Polizei." Ob es tatsächlich so gewesen ist oder anders, kann niemand nachprüfen. Die Menge jedenfalls glaubte, es sei so passiert, es sei wahrscheinlich. Dieser Glaube war nicht vom Himmel gefallen, er entstammte der vorangegangenen Erfahrung und mußte darum ein Pfand des Sieges werden.
    Die gesamte Belegschaft von Erikson, einem der fortgeschrittensten Betriebe des Wyborger Stadtteiles, zog nach einer am frühen Morgen abgehaltenen Versammlung in Stärke von 2.500 Mann zum Sampsonjewski-Prospekt und stieß an einer engen Stelle auf Kosaken. Mit der Brust der Pferde sich den Weg bahnend, dringen zuerst die Offiziere in die Menge ein. Hinter ihnen, in der ganzen Breite der Straße, reiten die Kosaken. Ein entscheidender Augenblick! Aber behutsam, in schmalem Bande, folgen die Reiter durch den von den Offizieren gebahnten Korridor. "Einige von ihnen lächelten", erinnert sich Kajurow, "und der eine zwinkerte den Arbeitern gut zu." Nicht umsonst hat der Kosak g3-zwinkert. Die Arbeiter sind kühner geworden, von einer den Kosaken freundlichen und nicht feindlichen Kühnheit, und stecken damit ein wenig die letzteren an. Der Zwinkernde fand Nachahmer. Trotz der erneuten Versuche der Offiziere schlängelten sich die Kosaken durch die Menge, ohne offen die Disziplin zu verletzen, aber auch ohne die Menge mit Nachdruck auseinanderzutreiben. Das wiederholte sich drei-, viermal und brachte die Parteien einander noch näher. Die Kosaken begannen einzeln auf Fragen der Arbeiter zu antworten und sogar flüchtige Gespräche anzuknüpfen. Von der Disziplin blieb nur eine dünne, durchsichtige Hülle übrig, die bald, gar bald zu reißen drohte. Die Offiziere beeilten sich, den Zug von der Menge zu lösen, ließen den Gedanken, die Arbeiter auseinanderzutreiben, fallen und stellten die Kosaken als Sperre quer

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