Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
Erwartungsvoll und gebieterisch schaute der Arbeiter dem Soldaten in die Augen, dieser aber wandte unsicher und unruhig den Blick ab: das bedeutete, der Soldat war seiner selbst nicht mehr gewiß. Der Arbeiter ging nun mutiger an ihn heran. Der Soldat verharrte in finsterem, doch nicht feindseligem, eher schuldbewußtem Schweigen, manchmal -immer häufiger - antwortete er mit scheinbarer Strenge, um zu verbergen, wie unruhig das Herz in seiner Brust schlug. So vollzog sich der Umschwung. Der Soldat schüttelte sein Soldatentum offensichtlich von sich ab. Dabei erkannte er sich anfangs selbst nicht. Die Vorgesetzten sagten, die Revolution mache den Soldaten trunken; dem Soldaten hingegen schien es, als erwache er aus einem Opiumrausch der Kaserne. So bereitete sich der entscheidende Tag vor: der 27. Februar.
Allein schon am Vorabend ereignete sich ein Vorfall, der trotz seines episodischen Charakters die Ereignisse des 26. Februar in neuem Lichte zeigt: am Abend meuterte die 4. Kompanie der Leibgarde des Pawlowski-Regiments. In der schriftlichen Meldung eines Polizeiaufsehers wird als Ursache des Aufstandes ganz kategorisch angegeben: "Empörung über das Lehrkommando des gleichen Regiments, das während des Wachdienstes auf dem Newski in die Menge geschossen hat." Wer hat die 4. Kompanie davon benachrichtigt? Darüber ist zufällig eine Mitteilung erhalten geblieben. Gegen zwei Uhr mittags kam zu den Kasernen des Pawlowski-Regiments ein Haufen Arbeiter gelaufen, die, einander erregt unterbrechend, über die Schießerei auf dem Newski berichteten. "Sagt den Kameraden, daß auch die Pawlowsker auf uns schießen, wir haben auf dem Newski Soldaten in eurer Uniform gesehen." Das war ein bitterer Vorwurf, ein flammender Mahnruf. "Alle waren bewegt und blaß." Der Samen war nicht auf Stein gefallen. Gegen sechs Uhr verließ die 4. Kompanie eigenmächtig die Kaserne unter dem Kommando eines Unteroffiziers - wer war es? sein Name ging spurlos in den Hunderten und Tausenden ebensolcher heroischer Namen unter - und begab sich zum Newski, um ihr Lehrkommando wegzuholen. Das ist keine Soldatenmeuterei madigen Specks wegen, das ist ein Akt hoher revolutionärer Initiative. Unterwegs hatte die Kompanie einen Zusammenstoß mit einer berittenen Polizeistreife; sie schoß, tötete einen Schutzmann und ein Pferd, verwundete einen Schutzmann und ein Pferd. Der weitere Weg der Aufständischen durch den Wirbel der Straße ist nicht aufzuspüren. Die Kompanie kehrte in die Kaserne zurück und brachte das ganze Regiment auf die Beine. Aber inzwischen waren die Waffen beiseite gebracht worden; nach einigen Mitteilungen gelang es jedoch den Soldaten, in den Besitz von dreißig Gewehren zu kommen. Bald wurden sie von Soldaten des Preobra-schenski-Regiments umzingelt, neunzehn Mann verhaftet und in die Festung gebracht; der Rest ergab sich. Nach einer anderen Version fehlten am Abend beim Appell einundzwanzig Mann mit Gewehren. Ein gefährliches Leck! Die einundzwanzig Soldaten werden die ganze Nacht Verbündete und Beschützer suchen. Retten kann sie nur der Sieg der Revolution. Von ihnen werden die Arbeiter Zuverlässiges über das Vorgefallene erfahren. Das ist kein schlechtes Vorzeichen für die morgigen Kämpfe.
Nabokow, einer der angesehensten liberalen Führer, dessen glaubwürdig klingende Memoiren stellenweise wie ein Tagebuch seiner Partei und seiner Klasse anmuten, kehrte um ein Uhr nachts von einem Besuch heim durch dunkle, lauernde Straßen, "besorgt und mit düsteren Vorahnungen ... Möglich, daß ihm an einer Straßenkreuzung ein entlaufener Pawlowsker begegnete. Sie gingen hastig aneinander vorbei: sie hatten sich nichts zu sagen. In den Arbeitervierteln und in den Kasernen wachten oder berieten sich die einen, während die anderen den Halbschlaf des Biwaks schliefen und fieberhaft vom morgigen Tag träumten. Dort fand der entlaufene Pawlowsker Unterkunft.
Wie dürftig sind die Aufzeichnungen über die Massenkämpfe in den Februartagen, kärglich selbst im Vergleich mit den nicht übermäßig zahlreichen Aufzeichnungen über die Oktoberkämpfe. Im Oktober leitete die Aufständischen tagaus, tagein die Partei; in ihren Artikeln, Aufrufen, Protokollen ist doch mindestens die Reihenfolge der Kämpfe festgehalten. Anders im Februar. Eine Leitung der Massen von oben gab es fast nicht. Die Zeitungen schwiegen, denn es war Streik. Ohne sich umzuschauen, machten die Massen selbst ihre Geschichte. Ein lebendiges Bild der Ereignisse,
Weitere Kostenlose Bücher