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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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Größen, sich kreuzende Ströme, kollektive Suggestionen und Autosuggestionen. Aber von diesem komplizierten Geflecht materieller und psychischer Kräfte hebt sich mit unwiderstehlicher Grelle die eine Schlußfolgerung ab: in ihrer Masse sind die Soldaten um so fähiger, die Bajonette zur Seite zu wenden oder mit ihnen zum Volke überzugehen, je mehr sie sich davon überzeugen, daß die Aufständischen sich wirklich erhoben haben; daß es nicht nur eine Demonstration ist, nach der man wieder in die Kaserne wird zurückkehren und Antwort stehen müssen; daß es ein Kampf auf Leben und Tod ist; daß das Volk zu siegen imstande ist, wenn man sich ihm anschließt, und daß dies nicht nur Straffreiheit sichern, sondern das ganze Dasein erleichtern wird. Mit anderen Worten, den Stimmungswechsel bei den Soldaten können die Aufständischen nur in dem Falle hervorrufen, daß sie selbst wirklich bereit sind, den Sieg um jeden Preis, folglich auch mit ihrem Blute, an sich zu reißen. Diese höchste Entschlossenheit aber kann und will niemals waffenlos sein.
    Die kritische Stunde der Berührung der vordrängenden Masse mit den ihr den Weg sperrenden Soldaten hat ihre kritische Minute: dann, wenn die graue Barriere noch nicht auseinandergefallen ist, noch Schulter an Schulter steht, aber bereits schwankt und der Offizier unter Sammlung seiner letzten Entschlossenheit den Befehl "Feuer" gibt. Schreie der Menge, Aufheulen des Schreckens und Drohungen übertönen die Stimme des Kommandos, - doch nur zur Hälfte. Die Gewehre wogen, die Menge drängt nach vorn. Da richtet der Offizier den Lauf seines Revolvers auf den verdächtigsten Soldaten. Aus der entscheidenden Minute hebt sich die entscheidende Sekunde heraus. Die Vernichtung des kühnsten Soldaten, auf den unwillkürlich die Blicke aller übrigen gerichtet sind, der Schuß eines Unteroffiziers aus dem einem Toten entrissenen Gewehr in die Menge - und die Barriere schließt sich, die Gewehre gehen von selbst los, die Menge in die Nebenstraßen und Höfe wegfegend. Aber wie viele Male seit dem Jahre 1905 ist es anders gekommen: im kritischen Augenblick, als der Offizier den Hahn abzudrücken sich anschickt, kommt ihm ein Schuß aus der Menge zuvor, die ihre Kajurows und Tschugurins hat. Dies entscheidet nicht nur das Schicksal des Zusammenpralls, sondern das Schicksal des Tages, vielleicht des ganzen Aufstandes.
    Die Aufgabe, die Schljapnikow sich gestellt hatte: die Arbeiter vor feindlichen Zusammenstößen mit den Truppen zu bewahren, indem man den Aufständischen keine Schußwaffen in die Hand gibt, ist überhaupt undurchführbar. Bevor es tatsächlich bis zu einem Zusammenprall mit den Truppen kam, gab es zahllose Geplänkel mit der Polizei. Der Straßenkampf begann mit der Entwaffnung der verhaßten "Pharaonen", deren Revolver in den Besitz der Aufständischen übergingen. An sich eine schwache Waffe, fast ein Spielzeug gegenüber den Gewehren, Maschinengewehren und Kanonen des Feindes. Sind aber diese wirklich in den Händen des Feindes? Um dies nachprüfen zu können, verlangten die Arbeiter eben Waffen. Die Frage wird auf dem psychologischen Gebiet entschieden. Aber auch beim Aufstande sind die psychischen Prozesse von den sachlichen nicht zu trennen. Der Weg zum Soldatengewehr geht über den Revolver, den man dem "Pharao" abnimmt.
    Die Erlebnisse der Soldaten in jenen Stunden waren weniger aktiv als die Erlebnisse der Arbeiter, aber nicht weniger tief. Wir wollen nochmals daran erinnern, daß die Garnison vorwiegend aus vieltausendköpfigen Reservebataillonen bestand, die zur Aufführung der Frontregimenter bestimmt waren. Diesen Menschen, in ihrer Mehrzahl Familienväter, stand bevor, in die Schützengräben zu gehen, wiewohl der Krieg bereits verloren, das Land ruiniert war. Sie wollten den Krieg nicht, sie wollten nach Hause, zu ihrer Wirtschaft zurück. Sie wußten sehr gut, was am Hofe sich abspielte, und fühlten nicht die geringste Anhänglichkeit für die Monarchie. Sie hatten keine Lust, gegen die Deutschen zu kämpfen und noch weniger gegen die Petrograder Arbeiter. Sie haßten die regierende Klasse der Hauptstadt, die sich während des Krieges dem Wohlleben hingab. Unter ihnen waren Arbeiter mit revolutionärer Vergangenheit, die all diesen Stimmungen einen verallgemeinernden Ausdruck zu geben wußten.
    Die Soldaten von ihrer tiefen, aber noch nicht nach außen gedrungenen revolutionären Unzufriedenheit zu offenen, aufrührerischen Taten zu bringen oder,

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