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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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sie ist verwegen. Und dies, weil sie, trotz der Erschießungen, den Glauben an die Truppen nicht verloren hat. Sie rechnet mit einem Sieg und will ihn um jeden Preis erringen. Der Druck der Arbeiter auf die Armee verstärkt sich und wirkte dem Druck der Behörden auf die Armee entgegen. Die Petrograder Garnison gerät endgültig in den Brennpunkt der Ereignisse. Die abwartende Periode, die drei Tage währte, in der es der Hauptmasse der Garnison möglich war, wohlwollende Neutralität gegen die Aufständischen zu bewahren, ist zu Ende. "Schieße auf den Feind!" befiehlt die Monarchie. "Schieße nicht auf deine Brüder und Schwestern!" rufen die Arbeiter und Arbeiterinnen, und nicht nur das: "Geh mit uns!" So spielt sich auf den Straßen und Plätzen, an den Brücken, an den Toren der Kasernen ein ununterbrochener, bald dramatischer, bald unsichtbarer, aber immer verzweifelter Kampf ab um die Seele des Soldaten. In diesem Kampf, in dieser engen Berührung der Arbeiter und Arbeiterinnen mit den Soldaten unter unausgesetztem Geknatter der Gewehre und Maschinengewehre entschied sich das Schicksal der Macht, des Krieges und des Landes.
    Die Niedermetzelung von Demonstranten verstärkt die Unsicherheit in den Reihen der Führer. Gerade der Schwung der Bewegung beginnt gefährlich zu erscheinen. Sogar in der Sitzung des Wyborger Komitees, am Abend des 26., das heißt zwölf Stunden vor dem Siege, ist die Rede davon, ob es nicht Zeit sei, zum Abbruch des Generalstreiks aufzurufen. Das mag seltsam erscheinen. Aber es ist viel leichter, den Sieg einen Tag nach dem Erringen zu erkennen als tags zuvor. Übrigens wechselt häufig die Stimmung unter den Stößen der Ereignisse und Gerüchte. Sinkender Mut und wachsende Zuversicht lösen einander schnell ab. Persönlichen Mut besitzen die Kajurows und Tschugurins genügend, aber mitunter drückt sie die Verantwortung für die Massen schwer. Unter den Arbeitern selbst gibt es weniger Schwankungen. Über deren Stimmung meldet der gut unterrichtete Agent der Ochrana, Schurkanow, der in der bolschewistischen Organisation eine bedeutende Rolle gespielt hat, seiner Behörde: "Da die Truppen die Menge nicht hinderten", schrieb der Provokateur, "sondern in einzelnen Fällen sogar Maßnahmen zur Paralysierung der Polizeiaktionen trafen, wuchs in den Massen das Gefühl der Straffreiheit, und heute, nach zwei Tagen ungehinderten Umhergehens in den Straßen, nachdem die revolutionären Kreise die Parolen "Nieder mit dem Krieg" und "Nieder mit dem Selbstherrschertum" aufgestellt haben, hat sich im Volke der Glaube festgesetzt, die Revolution habe begonnen, der Erfolg sei den Massen sicher, die Regierung ohnmächtig, die Bewegung zu unterdrücken, da die Truppen auf seiten des Volkes ständen, der entscheidende Sieg sei nahe, weil die Truppen heute oder morgen offen auf die Seite der revolutionären Streitkräfte übergehen würden, die entfesselte Bewegung werde nicht mehr innehalten, sondern ununterbrochen wachsen, bis zum völligen Siege und zum Staatsumsturz." In ihrer Knappheit und Kraßheit eine hervorragende Charakteristik! Der Bericht ist ein höchst wertvolles historisches Dokument. Das wird die siegreichen Arbeiter natürlich nicht hindern, seinen Autor zu erschießen.
    Die Provokateure, deren Zahl ungeheuer ist, besonders in Petrograd, fürchtet mehr als sonst wer siegt bei der Revolution. Sie verfolgen ihre Politik: bei den bolschewistischen Beratungen verteidigt Schurkanow die radikalsten Handlungen in den Berichten an die Ochrana vertritt er die Notwendigkeit energischer Anwendung der Waffen. Vielleicht war Schurkanow zu diesem Zwecke sogar bemüht, den Offensivgeist der Arbeiter zu übertreiben. Im wesentlichen aber hat er recht: die Ereignisse werden bald seine Beurteilung als richtig bestätigen.
    Schwanken und Rätselraten herrschte bei den Spitzen beider Lager, denn niemand konnte von vornherein das Kräfteverhältnis ermessen. Die äußeren Anzeichen haben endgültig aufgehört, als Gradmesser zu dienen: eines der Hauptmerkmale der revolutionären Krise besteht eben in dem scharfen Gegensatz zwischen dem Bewußtsein und den alten Formen der gesellschaftlichen Beziehungen. Das neue Kräfteverhältnis nistete geheimnisvoll im Bewußtsein der Arbeiter und Soldaten. Und gerade der Übergang der Regierung zur Offensive, hervorgerufen durch die vorangegangene Offensive der revolutionären Massen, leitete das neue Kräfteverhältnis aus dem potentiellen in den aktiven Zustand über.

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