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Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
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nicht mehr ausreichten. Die gesamte aktive Masse ging auf die Straße. Mit der Polizei wurde sie erfolgreich und mühelos fertig. Die Truppen waren in den letzten zwei Tagen bereits in die Ereignisse hineingezogen worden, am zweiten Tage die Kavallerie, am dritten auch die Infanterie. Sie drängten zurück, sperrten den Weg, übten manchmal Nachsicht, griffen aber fast nie zu den Feuerwaffen. Oben überstürzte man sieh nicht, den Plan abzuändern, teils weil man die Ereignisse unterschätzte - der Fehler im Sehvermögen der Reaktion ergänzte symmetrisch den Fehler der Revolutionsführer -, teils weil man der Truppen nicht sicher war. Aber gerade der dritte Tag zwang die Regierung, infolge der Steigerung des Kampfes wie infolge des Zarenbefehls, die Truppen ernsthaft einzusetzen. Die Arbeiter, besonders ihre fortgeschrittene Schicht, begriffen dies, um so mehr, als die Dragoner am Tage vorher bereits geschossen hatten. Die Frage erhob sich nun in ihrem vollen Umfange vor beiden Parteien.
    In der Nacht zum 26. Februar verhaftete man in mehreren Stadtteilen etwa hundert Personen, die verschiedenen revolutionären Parteien angehörten, darunter auch fünf Mitglieder des Petrograder Komitees der Bolschewiki. Das zeigte gleichfalls, daß die Regierung zum Angriff übergegangen war. Was wird es heute geben? Wie werden nach der gestrigen
    Schießerei die Arbeiter heute erwachen? Und die Hauptsache: was werden die Truppen tun? Die Morgenröte des 26. Februar erglühte im Nebel von Ungewißheit und schwerer Besorgnis.
    Infolge der Verhaftung des Petrograder Komitees ging die Leitung der gesamten Arbeit in der Stadt an den Wyborger Bezirk über. Vielleicht ist es auch besser so. Die obere Führung der Partei verspätet sich hoffnungslos. Erst am Morgen des 25. hat das Büro des Zentralkomitees der Bolschewiki endlich beschlossen, ein Flugblatt herauszugeben mit dem Aufruf zum Allrussischen Generalstreik. Aber im Moment des Erscheinens dieses Flugblattes - wenn es überhaupt erschienen ist - steht der Generalstreik in Petrograd schon vor der Notwendigkeit des bewaffneten Aufstandes. Die Führung schaut von oben zu, schwankt und bleibt zurück, das heißt führt nicht. Sie trottet hinter der Bewegung her.
    Je näher an die Betriebe, um so größer die Entschlossenheit. Heute jedoch, am 26., ist auch in den Bezirken Alarm. Hungrig, müde, durchfroren, eine ungeheure historische Verantwortung auf den Schultern, versammeln sich die Wy-borger Führer außerhalb der Stadt, in Gemüsegärten, um ihre Tageseindrücke auszutauschen und eine gemeinsame Marschroute zu entwerfen ... wofür? Für eine neue Demonstration? Wohin aber kann eine unbewaffnete Demonstration führen, wenn die Regierung entschlossen ist, bis aufs Letzte zu gehen? Diese Frage bohrt im Bewußtsein. "Es schien nur eines sicher: der Aufstand wird liquidiert." Wir hören hier die Stimme des uns bereits bekannten Kajurow, aber im ersten Moment scheint uns, es sei nicht seine Stimme. So tief war das Barometer vor dem Sturm gefallen.
    In den Stunden, wo das Schwanken sogar die den Massen am nächsten stehenden Revolutionäre erfaßt, ist die Bewegung selbst im Grunde schon viel weiter gegangen, als es ihre Teilnehmer dünkt. Bereits am Vorabend, dem 25. Februar, war der Wyborger Stadtteil vollständig in den Händen der Aufständischen. Die Polizeireviere waren zerstört, einzelne Polizeibeamte niedergemacht, die Mehrzahl hielt sich verborgen. Die Stadthauptmannschaft hatte die Verbindung mit einem bedeutenden Teil der Hauptstadt gänzlich verloren. Am Morgen des 26. zeigt sich, daß nicht nur der Wybor-ger Teil, sondern auch Peski fast dicht bis zum Litejny-Prospekt von den Aufständischen besetzt sind. Mindestens schildern die Polizeiberichte die Lage so. In gewissem Sinne traf das zu, obwohl sich die Aufständischen darüber selbst nicht ganz klar waren: die Polizei verließ ihre Höhlen in vielen Fällen, noch bevor sie einer Bedrohung seitens der Arbeiter ausgesetzt war. Doch davon abgesehen, konnte die Säuberung der Fabrikbezirke von Polizei in den Augen der Arbeiter nicht von entscheidender Bedeutung sein: hatten doch die Truppen ihr letztes Wort noch nicht gesprochen. Der Aufstand wird "liquidiert", ging es den Kühnsten der Kühnen durch den Kopf. Indes war er in voller Entfaltung. Der 26. Februar war ein Sonntag, die Fabriken geschlossen, und dies hinderte, morgens am Umfang des Streiks die Kraft des Massensturms zu messen. Dazu kam, daß sich die Arbeiter an

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