Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution

Titel: Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Trotzki
Vom Netzwerk:
die in den Straßen abrollten, zu schaffen, ist fast unmöglich. Es ist schon viel, wenn man ihre allgemeine Aufeinanderfolge und innere Gesetzmäßigkeit wiederherstellen kann.
    Die Regierung, die den Machtapparat noch nicht verloren hatte, überblickte die Ereignisse im ganzen noch schlechter als die linken Parteien, die, wie wir wissen, alles andere als auf der Höhe waren. Nach den "erfolgreichen" Erschießungen vom 26. faßten die Minister für einen Augenblick Mut. Am frühen Morgen des 27. meldet Protopopow beruhigend, daß, nach den vorliegenden Berichten, "ein Teil der Arbeiter beabsichtigt, die Arbeit wiederaufzunehmen". Die Arbeiter aber dachten nicht im entferntesten daran, zur Werkbank zurückzukehren. Die Erschießungen und Mißerfolge des gestrigen Tages haben die Massen nicht entmutigt. Wie ist das zu erklären? Offenbar überwog irgendein Plus das Minus. Indem sie sich über die Straßen ergießt, mit dem Feinde zusammenstößt, die Soldaten an den Schultern rüttelt, unter den Bäuchen der Pferde hindurchkriecht, angreift, auseinanderläuft, an den Straßenecken Tote zurückläßt, ab und zu Waffen erobert, Nachrichten weitergibt, Gerüchte auffängt, wird die aufständische Masse zu einem Kollektivwesen mit unzähligen Augen, Ohren und Fühlern. In der Nacht von der Arena des Kampfes in die Fabrikviertel zurückgekehrt, verarbeitet die Masse die Tageseindrücke und zieht, das Kleinliche und Zufällige aussiebend, das schwerwiegende Fazit. In der Nacht zum 27. sah dieses Fazit ungefähr so aus, wie es der Provokateur Schurkanow seinen Vorgesetzten meldete.
    Am Morgen strömen die Arbeiter wieder in den Betrieben zusammen und beschließen in gemeinsamen Versammlungen, den Kampf fortzusetzen. Am eifrigsten sind, wie immer, die Wyborger. Aber auch in den anderen Bezirken verlaufen die Meetings unter großer Begeisterung. Fortsetzung des Kampfes! Aber was bedeutet das heute? Der Generalstreik hatte sich in revolutionäre Demonstrationen gewaltiger Massen aufgelöst, und die Demonstrationen hatten zu Zusammenstößen mit den Truppen geführt. Den Kampf fortsetzen bedeutet heute, zum bewaffneten Aufstand aufrufen. Aber diesen Ruf erhebt keiner. Er wächst unabwendbar aus den Ereignissen hervor, noch ist er von der revolutionären Partei durchaus nicht auf die Tagesordnung gestellt.
    Die Kunst der revolutionären Führung besteht in kritischen Augenblicken zu neun Zehntel darin, die Masse belauschen zu können, so wie Kajurow die Bewegung der Kosakenaugenbraue abgeguckt hat, nur in viel breiterem Maßstabe. Die unübertreffliche Fähigkeit, die Masse zu belauschen, bildete die große Macht Lenins. Lenin aber war nicht in Petrograd. Die legalen und halblegalen "sozialistischen" Stäbe, die Kerenski, Tschcheidse, Skobelew, und all jene, die sie umschwirrten, konnten nur Warnungen aufbringen und die Bewegung hemmen. Aber auch der zentrale bolschewistische Stab, der aus Schljapnikow, Saluzki und Molotow bestand, verblüfft durch Hilflosigkeit und Mangel jeglicher Initiative. Tatsächlich waren die Bezirke und die Kasernen sich selbst überlassen. Der erste Aufruf an die Truppen wurde am 26. von einer sozialdemokratischen Organisation herausgegeben, die den Bolschewiki nahestand. Dieser Aufruf, der einen reichlich unentschlossenen Charakter trug (es fehlte darin sogar die Aufforderung, auf die Seite des Volkes überzugehen), wurde vom Morgen des 27. an in allen Stadtbezirken verbreitet. "Jedoch" - bezeugt ein Führer dieser Organisation, Jurenjew -, "das Tempo der revolutionären Ereignisse war derart, daß unsere Parolen bereits hinter ihm zurückblieben. In dem Moment, als die Flugblätter in die Soldatenmasse eindrangen, vollzog sich ihr Aufbruch." Was das bolschewistische Zentrum betrifft, so schrieb Schljapnikow erst am Morgen des 27., auf Veranlassung Tschugurins, einem der besten Arbeiterführer der Februartage, einen Aufruf an die Soldaten. Wurde er gedruckt? Bestenfalls erreichte auch er die Soldaten schon beim Aufbruch. Die Ereignisse des 27. Februar zu beeinflussen, war er nicht mehr imstande. Man muß als Regel feststellen: die Führer blieben in jenen Tagen um so weiter zurück, je höher sie standen.
    Doch der Aufstand, den niemand bei Namen nennt, wird trotzdem auf die Tagesordnung gestellt. Alle Sinne der Arbeiter sind auf die Armee gerichtet. Wird es uns gelingen, sie in Bewegung zu bringen? Vereinzelte Agitation genügt heute nicht mehr. Die Wyborger veranstalten vor der Kaserne des Moskauer

Weitere Kostenlose Bücher