Geschichte der russischen Revolution Bd.1 - Februarrevolution
fürs erste, wenigstens zu aufrührerischer Verweigerung von Taten, - das war die Aufgabe. Am dritten Tage des Kampfes büßten die Soldaten endgültig die Möglichkeit ein, noch weiterhin in der Position wohlwollender Neutralität gegen die Aufständischen zu verharren. Nur zufällige Bruchteile sind uns darüber erhalten geblieben, was sich in jenen Stunden des Zusammentreffens der Arbeiter mit den Soldaten abgespielt hat. Wir hörten schon, wie bitter die Arbeiter sich tags zuvor bei dem Pawlowski-Regiment über das Vorgehen des Lehrkom-mandos beklagten. Solche Szenen, solche Gespräche, Vorwürfe und Beschwörungen gab es an allen Enden der Stadt. Den Soldaten blieb keine Zeit mehr zum Schwanken. Man hatte sie gestern gezwungen, zu schießen, man wird sie heute wieder dazu zwingen. Die Arbeiter ergeben sich nicht, weichen nicht zurück, unter dem Hagel des Bleies wollen sie das Ihrige erringen. Arbeiterinnen, Frauen, Mütter, Schwestern, Geliebte, sind mit ihnen. Das ist ja nun die Stunde, von der man so oft flüsternd in verborgenen Winkeln sprach: "Ja, wenn doch alle gemeinsam ..." Und im Augenblick der höchsten Qual, der unerträglichsten Angst vor dem werdenden Tag, im Augenblick des würgenden Hasses gegen jene, die ihnen die Henkerrolle aufzwingen, ertönen in den Kasernen die ersten Stimmen des offenen Aufruhrs; und in diesen Stimmen, die namenlos geblieben sind, erkennt die ganze Kaserne voll Erleichterung und Begeisterung sich selbst. So brach über das Land der Tag des Unterganges der Romanowschen Monarchie herein.
Morgens, in der Versammlung bei dem unermüdlichen Kajurow, wo ungefähr vierzig Vertreter aus Fabriken und Betrieben anwesend waren, sprach sich die Mehrzahl für die Fortsetzung des Kampfes aus. Die Mehrzahl, doch nicht alle.
Es ist bedauerlich, daß man die genaue Mehrheit nicht feststellen kann. Aber in jenen Stunden stand der Sinn nicht nach Protokollen. Im übrigen kam der Beschluß verspätet: die Versammlung wurde durch die berauschende Nachricht vom Aufstande der Soldaten und der Öffnung der Gefängnisse unterbrochen. "Schurkanow küßte sich mit allen Anwesenden." Der Kuß des Judas, zum Glück nicht vor der Kreuzigung.
Eines nach dem anderen meuterten am Morgen - vor dem Ausmarsch aus der Kaserne -, die Reservegardebataillone, in Fortsetzung dessen, was die 4. Kompanie des Pawlowski-Regimentes tags zuvor begonnen hatte. In den Dokumenten, Aufzeichnungen und Erinnerungen hat dieses grandiose Ereignis der Menschheitsgeschichte nur blasse und verschwommene Spuren hinterlassen. Die unterdrückten Massen erzählen, selbst wenn sie sich auf die höchsten Gipfel historischer Leistung erheben, nur wenig von sich, und noch weniger schreiben sie es nieder. Und der hinreißende Triumph des Sieges verwischt dann die Arbeit des Gedächtnisses. Nehmen wir also das, was vorhanden ist.
Zuerst erhoben sich die Soldaten des Wolynski-Regiments. Bereits um sieben Uhr morgens alarmierte der Bataillonskommandeur telephonisch den General Chabalow, um ihm die bedrohliche Nachricht zu geben, das Lehrkommando, das heißt der speziell für Ruhestiftung vorgesehene Truppenteil, weigere sich, auszurücken, der Kommandant sei ermordet oder habe sich vor versammelter Mannschaft selbst erschossen; die zweite Version wurde übrigens bald fallengelassen. Nachdem sie die Brücken hinter sich verbrannt hatten, waren die Wolyner bestrebt, die Basis des Aufstandes zu verbreitern: das war jetzt für sie die einzige Rettung. Sie stürzten in die benachbarten Kasernen der Litowski- und Preobraschenski-Regimenter, um die Soldaten "rauszuholen", wie Streikende von Betrieb zu Betrieb gehen, um die Arbeiter herauszuholen. Nach einiger Zeit erhielt Chabalow die Meldung, die Wolyner gäben die Gewehre nicht nur nicht ab, wie es der General befohlen, sondern sie hätten gemeinsam mit den Preobraschenskern und Litowskern und, was noch schlimmer war, "vereinigt mit den Arbeitern" die Kasernen der Gendarmeriedivision demoliert. Das besagte, daß die gestrige Erfahrung des Pawlowski-Regiments nicht verlorengegangen war: die Aufständischen fanden Führer und gleichzeitig einen Aktionsplan.
In den frühen Morgenstunden des 27. schien den Arbeitern die Lösung der Aufgaben des Aufstandes unermeßlich ferner, als sie in Wirklichkeit war. Richtiger gesagt, sie sahen fast noch die ganze Aufgabe vor sich, während diese schon zu neun Zehntel hinter ihnen lag. Der revolutionäre Ansturm der Arbeiter auf die Kasernen fiel zusammen
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